Hirschmüller
TecDAX-Sentiment
18. Januar 2012. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Es gibt sicher schönere Arten ins Wochenende zu gehen, als am Freitagnachmittag mit der Rating-Peitsche verdroschen zu werden. Doch genau solche schmerzenden Grüße aus Übersee haben Ende vergangener Woche einige europäische Staaten und Marktteilnehmer erhalten.
Aber dieses Mal waren die Aktienmarktakteure im Vorteil: Sie wussten bereits, wie sich so etwas anfühlt und welche Reaktionen in diesem Fall angemessen sind. Sie brauchten nämlich nur rasch den Kursverlauf des 10. Novembers 2011 aufzurufen. Damals hatte Standard & Poor’s ungeschickterweise eine E-Mail mit Frankreichs Herabstufung an Investoren verschickt. Ein Entwurfsschreiben, das eigentlich erst später aus der Schublade geholt werden sollte. DAX-Händler überblickten somit schnell, was ihnen drohen konnte: Kursabschläge in der Größenordnung von 1,5 bis 2 Prozent.
Dass am vergangenen Freitag nicht mal ein halbes Prozent Minus herauskam, lag an einem offensichtlichen Veröffentlichungsleck: Bereits Stunden zuvor kursierte die Downgrade-Nachricht im Finanzmarkt in Form eines Gerüchts. Entsprechend wurden auch Verschwörungstheorien und Vorwürfe geäußert, die USA würden gezielt versuchen, die Eurozone in Schwierigkeiten zu bringen. Übersehen wird dabei wohl, dass es die gleiche Rating-Agentur war, die den USA im vergangenen Sommer ihre Bestnote strich. Die Diskussion um Bonitätsnoten trieb auch hierzulande teils seltsame Blüten. Unter anderem plädierte Außenminister Westerwelle für eine eigene Agentur nach dem Vorbild der Stiftung Warentest – sehr gut!
Analyse zum Anhören:
Aktienmarktinvestoren haben sich ohne jeden Zweifel intensiv mit der jüngsten Herabstufung auseinandergesetzt und sind ganz offensichtlich zu einer negativen Interpretation des Ganzen gekommen. Als Orientierung diente wohl die Abwärtsbewegung an den Aktienmärkten, die der Abstufung der USA Anfang August folgte. Und am Wochenende, das dem Rundumschlag gegen die Eurozone folgte, berichteten die Medien ja auch fast ausschließlich über mögliche negative Konsequenzen für die betroffenen EU-Länder und dort tätigen Unternehmen. Gleichzeitig verhärteten sich noch die Fronten im Kampf um das Vermeiden einer Griechenland-Pleite.
Die Welle schlechter Nachrichten kam zahlreichen Marktteilnehmern wie gerufen. Denn seit Jahresbeginn haben inländische Aktieninvestoren damit begonnen, ihre Aktienbestände zu reduzieren. Anfangs schien dies nur Positionsspitzen zu betreffen. Nun hat sich die Verkaufsneigung aber deutlich intensiviert. In die steigenden Kurse der Berichtswoche haben nun 14 Prozent der von der Börse Frankfurt befragten Händler verkauft. Da die meisten von ihnen direkt aus dem Bullenlager wechselten, brach der Optimismus gemessen an unserem Stimmungsbarometer kräftig ein. Der Bull/Bear-Index notiert plötzlich auf einem Achtmonatstief.
Analyse im TV:
Jeden Donnerstag
- 11.15 Uhr auf n-tv
- 14.10 / 18.05 Uhr auf DAF
Das Selbstvertrauen, das die Anleger aus ihrem jüngsten Handeln – den schnellen Gewinnmitnahmen nach dem positiven Jahresstart – ziehen konnten, hat ihnen nicht gut getan. Sie haben das Potenzial, das für den DAX entstanden ist, unterschätzt.
Schlimmer wiegt aber ein anderer Umstand: Die Gewinne, die sie durch die Verkaufsaktion der ersten Handelswoche realisiert haben, werden bei Weitem nicht ausreichen, um Verluste, die aus der aktuellen Untergewichtung drohen, ausgleichen zu können. Mittlerweile scheinen sich die befragten Anleger regelrecht in ein bearishes Szenario verrannt zu haben. Die erste Bias des neuen Jahres ist geboren. Und für die meisten ist es das Jahr des Bären.
Gianni Hirschmüller, cognitrend
Verhältnis Optimisten zu Pessimisten
Bullish | Bearish | Neutral | |
---|---|---|---|
Total | 37 % | 46 % | 17 % |
ggü. letzter Erhebung | – 10 % | + 14 % | – 4 % |
DAX-Stimmungskurve
Stand DAX 18.01.2012, 12:00 Uhr: 6.350 Punkte (+ 3,42 % gegenüber der letzten Erhebung), Bull/Bear- Index: 45 Punkte