Halvers Woche: "Sind zu viele Jäger des Aktien-Hasen Tod?"

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Halver

8. Mai 2015. MÜNCHEN (Baader Bank). Seit etwa einem Monat scheint das ehemalige Lieblingskind weltweiter Anleger – der Aktienmarkt, insbesondere der deutsche – in Ungnade gefallen zu sein. Die Fragen werden lauter, ob es zu einem Strukturbruch der bislang heilen Aktienwelt gekommen ist. So sorgt der zuletzt deutlich zulegende Euro-Kurs bei Anlegern für Zurückhaltung bei deutschen Exportwerten. Irritierend wirkten auch die steigenden Anleiherenditen. Hat etwa die EZB ihr Pulver, ihre Liquiditätsmunition verschossen? Werden Zinsanlagen gegenüber Aktien wieder attraktiver? Ist der Aktienhausse beim DAX also aus Gründen einer strukturellen Änderung die „Geschäftsgrundlage“ entzogen?

Die Entwicklungen von Euro/US-Dollar, Bund-Future und DAX seit Höchststand des DAX am 10. April sprechen eine deutliche Sprache.

Wird der Euro zu einer Stark- und der Dollar zu einer Schwachwährung?

„Der Euro bleibt eine starke Schwachwährung.“

Für Wechselkursbewegungen sind Zinsunterschiede von großer Bedeutung. Eine im I. Quartal vermutlich geschrumpfte US-Wirtschaft hat die Zinswende der Fed in das zweite Halbjahr verschoben. Da sich gleichzeitig die Konjunkturstimmung in der Eurozone aufhellte und daraufhin sogar die Drosselung der Liquiditätszuführung der EZB diskutiert wird, hat der Euro zum Dollar seit seinem Jahrestief von unter 1,05 wieder kräftig bis fast auf 1,14 zugelegt.

Ist das die Trendwende? Nein, die US-Wirtschaft wird die witterungs- und streikbedingten Behinderungen ab dem II. Quartal zügig aufholen und der Zinswende und damit Dollar-Stärke neue Nahrung geben. Und für die Euro-Wirtschaft gilt „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“. Daher wird die EZB an ihrem renditedrückenden Aufkaufprogramm unbeirrt festhalten. Die verschobene, aber nicht aufgehobene US-Zinswende einerseits und Anleiherenditen im Euroraum andererseits, die auch zukünftig unter den attraktiveren US-Renditen verlaufen, sprechen bis Jahresende für einen Euro von etwa 1,04.

Ist die Rentenhausse vorbei?

„Eine wirklich restriktive Liquiditätspolitik ist auch für die Fed unmöglich.“

Es ist der längste Anlagetrend der Neuzeit: Seit 1981 fallen die Renditen von Staatsanleihen. Doch das mittlerweile fast erreichte Nullzinsniveau, eine stabile Weltkonjunktur, der nachlassende Deflationsdruck in der Eurozone, der wirtschafts- und finanzpolitisch zwar gebotene, aber aus Gründen der europäischen Polit-Räson wohl nicht stattfindende Grexit und Währungsgewinne beim Euro nehmen große US-Anleger zum Anlass, mit viel Geschrei und Öffentlichkeitswirkung auf die Renditewende bei Anleihen zu wetten. Da weltweit Banken, Versicherungen und Pensionsfonds auf dramatisch hohen Anleihepositionen und ebenso dramatisch hohen Buchgewinnen sitzen, die sie sichern wollen, sorgen sie für eine sich selbsterfüllende Prophezeiung dieser von den USA initiierten Rentenbaisse. Steht also ein Strukturbruch bei Anleihen kurz bevor? Käme es tatsächlich dazu, weil immer mehr Großanleger die Rentenmärkte verlassen, würde die größte Anlageblase der Welt, nämlich die Anleiheblase platzen, und damit das bestehende Finanzsystem ruinieren. Vor diesem Hintergrund müssen die Notenbanken den Anleihe-Crash verhindern: Eine wirklich restriktive Liquiditätspolitik ist auch für die Fed unmöglich.

„Early Tapering“ würde die Euro-Staatsschuldenkrise wiederbeleben

„Mario Draghi kann man kritisieren, aber nicht für seine Konsequenz.“

Allein schon zur Aufrechterhaltung ihrer Glaubwürdigkeit wird die EZB das im März begonnene Anleiheaufkaufprogramm planmäßig bis September 2016 umsetzten und nicht vorzeitig einschränken oder gar beenden. Mario Draghi wird nach mühsamer geldpolitischer Beilegung der Euro-Staatsschuldenkrise bzw. Wiedergewinnung von fiskalpolitischer Stabilität sowie einer erst zaghaften konjunkturellen Erholung der Eurozone keinen liquiditätspolitischen Wortbruch riskieren, der das Vertrauen in die „Mutter aller Euro-Schlachten“ einschränken könnte. Es wäre geradezu eine Einladung an Euro-unfreundliche Spekulanten, erneut wie 2011 und 2012 zu Lasten einzelner Länder der Eurozone auf steigende Staatsanleiherenditen und damit auf eine Renaissance der Euro-Krise zu wetten.

Im Bedarfsfall, sollte der Erhöhungsdrang von Staatsanleiherenditen tatsächlich anhalten, ist Mario Draghi sogar ein liquiditätspolitischer Zuschlag zuzutrauen. Denn die schuldenbasierende Unterstützung der Konjunkturerholung der Eurozone ist auf zinsgünstige Refinanzierung dringend angewiesen: Obwohl sich die Staatsschulden der Eurozone insgesamt von 2001 bis 2017 knapp verdoppelt haben werden, wird sich der Zinsdienst bei erwarteter Beibehaltung des aktuell niedrigen Renditeniveaus von rund 190 bei Euro-Einführung auf 30 Milliarden Euro in zwei Jahren mehr als gesechstelt haben. Auf diesen „Finanzierungsvorteil“ kann die Eurozone nicht verzichten.

Selbst der Deutschen Bundesbank wäre das Inflationsniveau zu gering

„Denn sie weiß, was sie konjunkturell tut.“

Eine liquiditätspolitische Trendwende ist auch aus Inflationssicht nicht zu rechtfertigen: In der Eurozone ist die Preissteigerungsrate – sie liegt derzeit bei null – noch weit entfernt von ihrem Zielwert von zwei Prozent.

Und selbst prospektiv – bei Berücksichtigung der Inflationserwartungen – ist der Preisdruck in der Eurozone noch weit von normalen Verhältnissen entfernt.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Die Jäger haben zu wenig Munition, um die Aktien zur Strecke zu bringen

„Kein Strukturbruch am Aktienmarkt.“

Keine Frage, deutsche Aktien waren im April überkauft. Außerdem nähert sich die „Fütterungssaison“ der Anleger – die Dividendenzeit – bald ihrem Ende. Und die immer noch unbeantwortete griechische Frage sorgt auch nicht gerade für positive Aktienlaune.

Neben diesen technischen bzw. saisonalen Aktien-Handicaps sind strukturelle Zweifel an Aktien, die zu nachhaltigen Gewinnmitnahmen animieren und sogar einen Crash nahelegen, nicht gerechtfertigt. Weder wird der Euro zu einer Starkwährung, noch werden wirklich höhere Renditen bei Zinsanlagen Aktien ernsthafte Konkurrenz machen.

Eher ist von einem reinigenden Gewitter, einer vorübergehenden Korrektur auszugehen. Das Beispiel US-Aktienmarkt zeigt, dass der Anteil der Optimisten, der bis Jahresanfang zu deutlich oberhalb des Mittelwertes seit 2000 gelegen hat, sich mittlerweile deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt bewegt. Der irrationale Überschwang wird abgearbeitet.

Vor diesem Hintergrund sollten mindestens die regelmäßigen Aktienansparpläne weitergeführt werden. Denn selbst bei sinkenden Aktienkursen erhalten die Anleger mehr Aktienanteil. Längerfristig macht sich das sehr positiv bemerkbar. Denn die Aktienhausse ist nicht vorbei.

Überhaupt, deutsche Aktien kommen immer mehr in den Genuss von fundamentaler Substanz: So weisen u.a. die ifo Geschäftserwartungen für die Eurozone auf eine solide Konjunkturentwicklung hin, die historisch auch Kursanstiege deutscher Aktien bedeuteten. Es geht nicht nur um Liquiditätshausse.

Diese Sichtweise unterstreicht auch die überwiegend positiv verlaufende deutsche Berichtsaison für das 1. Quartal 2015: 63 Prozent der bislang präsentierenden Unternehmen konnte in punkto Gewinn überraschen. Und die Ausblicke – der eigentliche Lustgewinn einer Berichtsaison – sind auch ermutigend. 

Charttechnik

Charttechnisch trifft im DAX eine Erholung aufgrund der stark überverkauften Lage in der Zone zwischen 11.600 und 11.675 Punkten auf starken Widerstand. Darüber wartet die nächste wichtige Hürde bei rund 12.079 Punkten.

Auf der Unterseite verläuft jetzt die erste Unterstützung zwischen 11.400 und 11.331 Punkten. Darunter wartet die nächste Haltelinie am mittelfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 11.324 Punkten. Wird dieser Trend durchbrochen, dürften weitere Unterstützungen bei 11.200 und 11.000 Punkten angesteuert werden.

Und was passiert in der KW 20?

„Die griechische Frage steht im Mittelpunkt.“

Im Rahmen der Ergebnisse der Berichtsaison für das erste Quartal 2015 stehen die Ergebnisse von K+S, Deutsche Post, ThyssenKrupp, Allianz, RWE und der Deutschen Telekom an. Von Interesse sind die Ausblicke.

Auf Makroebene deutet in den USA ein wieder freundlicherer Einkaufsmanagerindex der New York Fed (Empire State Index) sowie eine sich stabilisierende Industrieproduktion im April auf einen soliden Start der US-Konjunktur in das zweite Quartal hin. Stabile Einzelhandelsumsätze und ein hohes Verbrauchervertrauen der Universität von Michigan verdeutlichen darüber hinaus das robuste US-Konsumklima.

Die Euro-Finanzminister nähern sich auf ihrem Treffen einer Lösung in punkto Griechenland, dessen Austritt aus der Eurozone aus politischen Gründen immer unwahrscheinlicher wird, obwohl die ökonomische Vernunft keine andere Wahl lässt. Die BIP-Zahlen für das erste Quartal 2015 dürften sich stabilisiert haben.

von Robert Halver, Baader Bank AG
© 30. April 2015

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