Halver
5. September 2014. MÜNCHEN (Baader Bank). Amerika und Asien beweisen wieder wirtschaftliche Steherqualitäten. Dagegen sind die Stehauf-Männchen in Euroland weniger häufig anzutreffen. Das liegt maßgeblich daran, dass Euroland nicht hart an der Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeitet. Nur sich regen bringt Segen. In der Eurozone scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass das Geld nicht primär in der Strandbar oder im Bistro verdient wird. Die auch beschäftigungswirksame vollmundige Wertschöpfung kommt vor allem aus weltweit gefragten, hocheffizienten und attraktiven Produkten und Dienstleistungen. Ohne Reform-Fleiß kein Export-Preis. Allerdings scheint die wirtschaftspolitisch dringend erforderliche Standortverbesserung mit dem Euro-politischen Reformfluch zu kollidieren. Denn wer reformiert, wird abgewählt.
Muss man sich da wundern, dass die Wirtschaft der Eurozone blutarm, investitions- und vor allem beschäftigungsschwach ist und dass so manches Unternehmen angesichts der mit Füßen getretenen Standortpolitik schon längst an interkontinentale Emigration denkt?
Warum in die reformistische Ferne schweifen, wenn das schuldenfinanzierte Gute liegt so nah?
„Mit mehr Schulden mehr Stabilität „
Die schnelle Lösung der Probleme scheint für viele Politiker auf der Hand zu liegen: Und wenn man denkt, es geht wirtschaftlich nicht mehr, müssen eben neue Schulden her. Ist ja auch nur konsequent. Wäre doch schade um die von Mario Draghi geschaffenen, niedrigen Staatsanleiherenditen. Und jetzt mit den auf 0,05 Prozent gesunkenen Leitzinsen haben die Banken noch mehr Muße, mit billigem EZB-Geld noch mehr Staatspapiere zu kaufen, um deren Renditen damit noch weiter zu drücken. Jetzt brauchen die Finanzminister nur noch eines tun: Sich von Herzen verschulden. Und das Ganze auch noch mit wenig Reue. Denn selbst bei ansteigender Neuverschuldung kommt es aufgrund überkompensierend niedriger Zinskosten bei gleichzeitig zinsgünstigeren Altkreditverlängerungen zu einer Absurdität, eigentlich zu einem Stabilitätsalibi: Das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent jährlichem Haushaltsdefizit zur Wirtschaftsleistung lässt sich sogar leichter erreichen. Halleluja!
Und jetzt mal ehrlich: Warum sollte sich ein Politiker vor diesem Hintergrund noch den Stress schmerzhafter, wählerverschreckender Wirtschaftsreformen antun? Dass man mit diesem Laissezfaire-Ansatz in einen fatalen Teufelskreis eintritt, muss man ja nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Leider wird diese Reformverweigerungshaltung Unternehmen auch zukünftig weiter davon abhalten, zu investieren, aber anhalten, Arbeitsplätze abzubauen. Somit wird die eurozonale Volkswirtschaft noch mehr unter privatwirtschaftlichem Liebesentzug leiden und der Staat noch mehr gezwungen sein, mit noch mehr frischen, neuen, zinsgünstig finanzierten Schulden noch mehr in die wirtschaftliche Bresche zu springen. Vor diesem Hintergrund kann die EZB es gar nicht mehr zulassen, dass die Ära günstiger Schuldzinsen in Euroland endet. Wenn hier alle Stricke reißen, muss Mario Draghi sein Versprechen einlösen und tatsächlich Staatspapiere aufkaufen.
„Man kann die Pferde zwar zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst“
Die EZB plant schon den nächsten Coup im Oktober. Sie will auch die erbärmliche Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte aufpäppeln. Denn was nutzen niedrige Kreditzinsen, wenn die Banken aus Risikoüberlegungen keine Kredite vergeben. Und hier wird die EZB nicht nur kleckern, sondern klotzen: Sie wird umfänglich forderungsbesicherte, verbriefte Kreditforderungen, die sogenannten ABS-Papiere, aufkaufen. Damit können Banken ihre an den Bilanzen wie Kaugummi am Schuh klebenden Kreditaltlasten in Form nett geschnürter Paketchen loswerden. Sie hätten wieder Platz für neue Kredite. Und diese neu eingegangenen Ausfallrisiken schmerzen dann auch vergleichsweise wenig, weil die Banken wissen, dass sie ebenso diese zumindest teilweise an die EZB – wie einen alten Mantel in die Altkleidersammlung – abgeben können. Genau diese Verbriefung hat zwar 2008 zum Zusammenbruch der Immobilienblase und nachfolgend der Finanzmärkte und der Weltkonjunktur geführt. Aber soweit muss es heutzutage ja nicht kommen. Notwendige Bedingung hierzu ist allerdings, dass die EZB niemals mehr den Rückzug aus diesem gestarteten Verbriefungs-Perpetuum Mobile antreten kann. ABS, eigentlich eine Abkürzung für Asset Backed Securities, dürfte zukünftig als Abkürzung für Anti-Blockier-System für die Kreditvergabe von Banken stehen.
Wenn Geldpolitik Konjunkturpolitik betreiben muss
„Staatswirtschaft verdrängt Privatwirtschaft“
Die staatliche Konjunkturstimulierung der volkswirtschaftlichen Nachfrageseite mit geldpolitischer Rückendeckung hat allerdings ihren Preis. Sinken die Zinsen am Staatsanleihenmarkt weiter, führt dies zu einer weiteren Verflachung der Zinsstrukturkurven der Euro-Staaten. Nähern sich die Renditen länger laufender Staatsanleihen immer mehr den Notenbankzinsen an, verschlechtert dies das Investitionsklima. Für Banken ist es immer weniger interessant, Fristentransformation – bei der EZB Geld zinsgünstig aufnehmen und in Form von Krediten höherrentierlich ausleihen – zu betreiben. Die Begünstigung der Staatswirtschaft führt so zu einer Verdrängung, einem Crowding Out, der privaten Finanzierungen.
Bereits seit Jahresanfang ist in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien eine rasche Verflachung der Zinsstrukturkurven zu beobachten, die sich bei tatsächlichen Aufkäufen von Staatsanleihen noch verschärfen würde. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, könnte sich die EZB selbst auf dem aktuell tiefen Niveau zu erneuten Leitzinssenkungen auf Null gezwungen sehen.
Die Geister, die Draghi rief…
Insgesamt wird Mario Draghi zum Erfüllungsgehilfen von Finanzindustrie und Konjunktur. Man wird sich schnell an diese Happy Hour, an die unendlich lockere Geldpolitik der EZB gewöhnen. Damit wird es für die EZB aber auch immer schwieriger, irgendwann einen Entzug aus dieser Liquiditätsdrogenabhängigkeit der Finanzmärkte durchzuführen, ohne einen neuerlichen Schock der Euro-Finanz- und Wirtschaftswelt zu riskieren.
Der die Eurozone stabilisierende Zweck heiligt alle instabilen Mittel
„Bleiben Sie Aktien treu! „
Die etwas Älteren unter uns werden sich noch an den Schlager von Rudi Carrell erinnern „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, ein Sommer, wie er früher einmal war?“ Ich füge eine weitere Frage hinzu: „Wann wird’s mal wieder richtig stabil, so stabil wie es früher bei der Bundesbank einmal war?“ Bei der Beantwortung der ersten Frage bin ich sehr zuversichtlich. Und bei der zweiten schweigt des Kolumnisten Halvers Höflichkeit.
Und was heißt das für die Aktien? Trotz instabilem Makrokosmos werden sie weiter profitieren. Denn zunächst ist die eurozonale Liquiditätshausse nicht vorbei, sondern quicklebendig wie ein munteres Rehlein. Das schwächt im Übrigen zur Freude der Exportindustrie auch den Euro. Und das Beispiel USA lehrt: Wenn über neue Schulden die Konjunktur gestützt wird, kommt das fundamental auch den Aktien zugute.
Also machen wir in unserem Mikrokosmos, in unserem Anlagedepot, das Beste aus der Romanischen Schuldenunion, der früheren Europäischen Stabilitätsunion: Bleiben wir Aktien treu!
von Robert Halver, Baader Bank AG
© 5. September 2014
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