Hüfners Wochenkommentar: Das "Tapering" in Europa

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Hüfner

20. November 2013. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Selten war die monetäre Gemengelage diesseits und jenseits des Atlantiks so unterschiedlich wie jetzt. In den USA steigt die Geldmenge gemessen an der Bilanz­summe der Zentralbank stark an. Seit Mitte vorigen Jahres hat sie sich um 40 Prozent erhöht. In Europa geht sie dagegen drastisch zurück. In der gleichen Zeit hat sie sich um EUR 800 Milliarden oder 25 Prozent verringert (siehe Gra­fik).


Deutschland nicht mehr Primus

Unterschiedliche Liquiditätsentwicklung
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Quelle: EZB, Federal Reserve

Gleichzeitig gibt es in den USA Ängste, dass die Verrin­gerung der Wertpapierkäufe der Zentralbank (das soge­nannte Tapering) erhebliche Rückwirkungen auf die Finanzmärkte und auf die Volkswirtschaft insgesamt ha­ben könnte. Daher hat die Federal Reserve den Beginn des Taperings erst einmal verschoben.

Umgekehrt hat die Rückführung der Liquidität in Europa keine sichtbaren Auswirkungen gehabt. Weder hat sich die Aktien-Hausse verringert. Sie ist in den letzten Mo­naten sogar kräftiger als in den USA gewesen. Noch sind die Kapitalmarktzinsen stärker gestiegen. Die eu­ro­päischen Sätze haben sich lediglich als Folge der Taper­ing-Diskussion in den USA etwas erhöht, aber wesent­lich weniger als in den USA selbst. Auch die Konjunktur und der Arbeitsmarkt wurden durch die Rück­führung der Liquidität nicht belastet.

Wie passt das zusammen? Kann man aus den europä­ischen Erfahrungen schließen, dass der Zusammenhang zwischen der Liquiditätsversorgung und den volkswirt­schaftlichen Marktdaten doch nicht so eng ist, wie es die üblichen Korrelationen suggerieren? Dass also die Ängs­te vor dem Tapering in den USA übertrieben sind? Meine Antwort ist Ja und Nein.

Zunächst ist zu bedenken, dass es in Sachen Liquidität und Geldmenge erhebliche Unterschiede gibt zwischen den USA und Europa. Man kann daher die europäische Entwicklung nicht so einfach über die USA übertragen. Drei Dinge spielen hier eine Rolle.

Erstens war die Verringerung der Geldmenge in Europa anders als den USA kein geldpolitischer Kurswechsel. Sie beruhte vielmehr auf der Initiative der Banken, die Kredite im Rahmen des LTRO (Longer Term Refinan­c­ing Operation) vorzeitig zurückzuzahlen. Es ist sogar zu ver­muten, dass das der EZB angesichts der schwachen Konjunktur und der Probleme in der Währungsunion gar nicht ganz recht war. In jedem Fall hat sie versucht, mögliche negative Wirkungen der Geldmengenverringe­rung aufzufangen durch zwei Zinssenkungen, durch die „Forward Guidance“ (= das Versprechen, die Leitzinsen auf absehbare Zeit niedrig zu halten) und durch den Hin­weis, dass es ein neues LTRO-Programm geben könn­te.

Zweitens operiert die EZB nicht wie die Federal Reserve direkt am Markt. Damit beeinflusst sie auch nicht die Ka­pitalmarktzinsen. Wenn dagegen die Fed ihre Wertpa­pierkäufe verringert, gibt es weniger Nachfrage nach Bonds. Die Zinsen müssen automatisch steigen. Das „Tapering in Europa“ ist kapitalmarktschonender.

Drittens ist in Europa nur das tatsächliche Zentralbank­geld zurückgeführt worden, nicht aber die Liquidität im Sinne der jederzeitigen Verfügbarkeit von Geld. Die EZB hat den Banken im Gegenteil ausdrücklich zugesichert, dass sie alle Tender voll zuteilen würde, die Banken al-so weiter Geld zu praktisch Nullzinsen bekommen kön­nen. Das wäre in den USA beim Tapering nicht der Fall. Wenn die Federal Reserve keine Wertpapiere mehr kauft, bekommen die Banken weniger Mittel. Insofern ist die amerikanische Politik einschneidender.

Insgesamt ist die Situation in den USA also anders. Es ist daher kaum zu erwarten, dass das Tapering in den USA am Ende ebenso ein „Non-Event“ ist wie in Europa. Andererseits sollte man die Erfahrungen der EZB aber auch nicht ganz vom Tisch wischen. Der Zusammen­hang zwischen Geldmenge und Aktienkursen und der Anleihenverzinsung ist nicht festgemauert. Es kann gelingen, die Liquidität zu verringern, ohne die Märkte in Unord­nung zu bringen. Das zeigt auch die Erfahrung der letz­ten großen Restriktionsperiode 2004/2006 in den USA, als die massiven Zinserhöhungen die Märkte kaum tan­gierten.

Wichtig ist allerdings, dass die Notenbank dabei klug agiert. Sie muss den Märkten die Ängste nehmen. Sie muss klar machen, dass sie die Geldpolitik zwar norma­lisieren, sie aber nicht restriktiv gestalten will. Sie muss zeigen, dass auch sie kein Interesse daran hat, dass Aktienkurse und/oder Bond-Preise zusammenbrechen. Die Märkte werden – das muss deutlich werden – im Gegenteil nach Abschluss des Tapering gesünder da­stehen, weil sie dann weniger von Liquidität und mehr von fundamentalen Faktoren getrieben werden. Das zu erklären wird die Aufgabe der neuen Fed-Chefin Janet Yellen sein

Für Anleger

Nach den Erfahrungen in Europa halte ich die Befürch­tungen hinsichtlich des Tapering in den USA für über­trieben. Die Verringerung des Zuwachses an Liquidität muss nicht zu einem Blutbad an den Märkten führen. Voraussetzung ist freilich eine gute Kommunikation. Da­her halte ich nach wie vor an der Erwartung fest, dass die Fed unabhängig von allen Konjunkturdaten mit dem Tapering erst dann beginnen wird, wenn der Chefsessel neu besetzt ist. Die neue Präsidentin ist die Einzige, die den Märkten die notwendige Führung („Guidance“) ge­ben kann. Das ungeduldige Warten der Märkte auf das Tapering in diesen Wochen mutet etwas merk­würdig an. Jeder weiß inzwischen, dass die Wirtschaft robust ge­nug ist, um auch mit weniger Liquidität auszu­kommen.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

von Martin Hüfner, Assenagon
© 20. November 2013

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011)