Hüfners Wochenkommentar: Die Emanzipation des Euro


Hüfner

22. September 2011. Frankfurt (Börse Frankfurt). Als ob wir nicht schon genug Sorgen mit dem Euro hätten. In meinem neuen Buch („Rettet den Euro“, Murmann Verlag 2011) habe ich den politischen Webfehler der Währungsunion aufs Korn genommen. Jetzt wird immer mehr deutlich, dass das Arbeitsmodell der Europäischen Zentralbank risse bekommt. Das hat erhebliche Konsequenzen für die Märkte.

Die Europäische Zentralbank war von Anfang an als Klon der Deutschen Bundesbank konzipiert. Sie war strikt der Preisstabilität verpflichtet. Sie sollte unabhängig von Staaten und Regierungen sein. Sie orientierte ihre Politik nicht nur an der Entwicklung der Inflationsrate, sondern auch an der Geldmenge. Um all das optisch zu untermauern, wurde Frankfurt als Sitz der Notenbank bestimmt. Das machte den Deutschen den Abschied von der D-Mark leichter.

Das Modell war erfolgreich. Die Ergebnisse waren sogar noch besser als die der Bundesbank (siehe Grafik). Bis zur Einführung des Euro betrug die durchschnittliche jährliche Inflationsrate in Deutschland 2,7 Prozent p. a., danach nur noch 1,5 Prozent p. a.

An sich war zu erwarten, dass sich die EZB irgendwann einmal von der Bundesbank emanzipiert. Eine europäische Zentralbank kann auf Dauer nicht eine von Deutschland geprägte Institution sein. Schließlich wollten sich einige Euro-Mitglieder durch die Gründung der Währungsunion aus der einseitigen Abhängigkeit von der D-Mark lösen. Aus dem „D-Mark-Block“ sollte eine europäische Währungsunion werden. Dass die Änderung jetzt aber so schnell kommt, damit hatten wenige gerechnet.

Bundesbank-Modell bewährt sich

Die verstärkte Emanzipation der EZB von der Bundesbank ist an einer Reihe von Punkten festzumachen. Die Spektakulärsten waren die Rücktritte der zwei deutschen Mitglieder des Governing Council innerhalb von gut einem halben Jahr (zuerst Weber, dann Stark). Kein Mitglied eines anderen Staates ist je so aus der EZB ausgeschieden. Aus keinem anderen europäischen Gremium haben sich die Deutschen so verabschiedet. Da stimmt etwas nicht. Entweder kommen die Deutschen im EZB-Führungsgremium nicht mit ihren Kollegen aus den anderen Ländern aus, oder die Anderen können oder wollen nicht mit den Deutschen zusammenarbeiten. Die neuen Mitglieder im Governing Council, Jens Weidmann und vermutlich Jörg Asmussen werden sich in Zukunft nicht mehr allein auf die Tradition der Bundesbank und/oder auf die Stärke der deutschen Volkswirtschaft verlassen können. Sie werden netzwerken müssen, Verbündete für ihren Kurs suchen und auch Kompromisse schließen. Sie haben keine Sonderstellung mehr.

Ein anderer Punkt ist die Verschiebung der Macht innerhalb der EZB. Zu Beginn der Währungsunion war der traditionell stabilitätsorientierterte Norden des Euroraums mit vier Mitgliedern im Direktorium vertreten. Sie stellten den Präsidenten, den Vizepräsidenten und den Chefvolkswirt. Jetzt hat der Norden im Direktorium nur noch drei Stimmen. Der Präsident kommt aus Italien, der Vizepräsident aus Portugal. Der erste Präsident der EZB, der Niederländer Wim Duisenberg, sah sich klar in der Tradition der Bundesbank. Der neue Präsident Mario Draghi, würde eine solche Charakteristik seiner Person sicher ablehnen.

Man sollte solche nationalen Erwägungen nicht überbetonen. Es ist aber nicht zu leugnen, dass sie die Verhaltensweisen prägen. Die sehr kooperative Art, wie der jetzige EZB-Präsident Trichet mit den Staats- und Regierungschefs zusammenarbeitet, ist sicher eine andere als die, die ein Präsident der Bundesbank pflegen würde.

Schließlich gibt es den Streit um die Käufe von Staatsanleihen von Schuldnerländern in Europa. Im Grunde geht es hier um eine Abwägung zwischen geldpolitischen Prinzipien und den Notwendigkeiten des Krisen-Managements. Die geldpolitischen Prinzipien verbieten den Kauf von Staatspapieren ohne Wenn und Aber. Notenbanken dürfen keine Staatsfinanzierung betreiben. Andererseits erleichtern die Käufe von Staatsanleihen das europäische Krisen-Management. Sie haben die Situation, zumindest vorübergehend, entspannt. Viele Notenbanken der westlichen Welt haben keine Schwierigkeiten mit Wertpapierkäufen am offenen Markt. US-Finanzminister Geithner hat dies am letzten Wochenende den Europäern erneut ans Herz gelegt.

Jeder einzelne dieser Punkte ist für sich genommen diskutabel. Zusammen geben sie jedoch das Bild einer Notenbank, die sich von ihrer „Mutter“ emanzipiert. Sie wird europäisch. Sie wird ein bisschen so wie andere Notenbanken in der Welt. Sie ist nicht mehr der einzigartige Star. Sie wird Durchschnitt. Das ist an sich kein Schaden. Niemand konnte davon ausgehen, dass Europa in Sachen Geldpolitik auf Dauer nach der Pfeife der Deutschen tanzt. Entscheidend ist, dass die Geldwertstabilität dadurch nicht gefährdet wird. Das ist bisher nicht erkennbar. Die Erfahrung zeigt freilich, dass die Errechung stabiler Preise bei größerem Pragmatismus und weniger festen geldpolitischen Prinzipien schwieriger ist.

Für den Anleger

Die EZB wird in Zukunft weniger Falke und mehr Taube sein. Es würde mich wundern, wenn sie die Zinsen, als Folge der schlechteren Konjunktur, nicht schneller zurücknimmt, als sie das in früheren Jahren getan hätte. Das wird sich auch auf den Außenwert des Euro auswirken. Die Gemeinschaftswährung wird sich langfristig nicht mehr so stark gegenüber dem Dollar aufwerten.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 22. September 2011/Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.