Hüfners Wochenkommentar: Die zwei Seiten der Staatsverschuldung


Hüfner

15. Juni 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). In der Hektik der Diskussion über die Umschuldung in Griechenland wird oft vergessen, dass eine hohe Staatsverschuldung zwei Seiten hat. Die eine ist die, die wir derzeit immer im Kopf haben: Große öffentliche Defizite zeigen, dass der betroffene Staat nicht ordentlich wirtschaftet. Wie glücklich wäre Euroland, wenn es das Schuldenproblem nicht gäbe. Wie froh wären die USA, wenn die öffentlichen Defizite niedriger wären. Sie müssten sich nicht die hämischen Kommentare der Chinesen über ihre Finanzpolitik anhören.

Daneben gibt es aber noch eine andere Seite der Geschichte. Hohe Staatsverschuldung kann, wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist, auch eine Chance sein. Das betreffende Land kann seine Fehlentwicklungen korrigieren, seine Finanzen wieder in Ordnung bringen und sich damit aus dem Schlamassel herausziehen. Wenn man ganz unten ist, kann es – langfristig gesehen – nach aller Erfahrung eigentlich nur noch nach oben gehen. Eine Umschuldung ist dazu nicht nötig.

Es gibt dafür viele Beispiele. Eines ist Schweden (siehe Grafik). Es galt lange Zeit als Muster für hohe Steuern und einen überzogenen Sozialstaat. In den 90er Jahren stieg seine Staatsverschuldung auf über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dann gab es harte Reformen. Das Land durchlebte eine dreijährige Rezession. Jetzt steht es mit einer Verschuldungsquote von etwas über 30 Prozent wie eine „Eins“ da. Sein reales Wachstum liegt bei 4 Prozent. Die öffentlichen Haushalte und die Leistungsbilanz haben einen Überschuss. Die Inflation hält sich in Grenzen.

Beispiele sind nicht ganz so spektakulär. Die USA haben ihre Verschuldung von 120 Prozent Ende des zweiten Weltkrieges auf 30 Prozent in den 90er Jahren zurückgeführt. Die Wirtschaft ist in dieser Zeit dynamisch gewachsen. Die Sanierung ging allerdings zum größten Teil mit einer höheren Inflation einher. Argentinien hat nach einem harten Einbruch (Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um fast 20 Prozent in vier Jahren) wieder auf einen tragfähigen Pfad zurückgefunden. Allerdings war es zu einer Insolvenz gezwungen, die sein Standing auf den Kapitalmärkten noch heute belastet. Zudem ist sein Wachstum nach wie vor fragil und es hat eine hohe Geldentwertung (offiziell 9,6 Prozent, vermutlich aber sehr viel höher).

Das Beispiel Schweden

Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts
Quelle: EU

Vor allem Schweden ist ein Beispiel, das Mut machen kann. Die derzeit desolate Lage Griechenlands kann sich verbessern. Freilich ist das ein langer Prozess, nicht ein oder zwei Jahre, sondern eher fünf oder sechs. Zudem müssen die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Griechenland muss erstens den Staatsapparat effizienter machen und die Ausgaben auf das wirklich notwendige beschränken. Stichwort Sparen. Es muss zweitens die Steuererhebung verbessern, um genügend Einnahmen zu erzielen und die Steuerlast gerecht auf alle Schultern verteilen.

Und am wichtigsten: Es muss seine Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen. Die meisten sehen die Privatisierung in Griechenland, unter den gegenwärtigen Umständen, in erster Linie als fiskalisches Problem. Athen ist mit Vermögensgütern von 300 Milliarden Euro (nach Schätzungen des IWF) vergleichsweise reich. Es kann seine Schulden durch Verkauf seines Vermögens tilgen.

Das Ganze hat aber auch einen ökonomischen Aspekt. Eine Wirtschaft, bei der der Staatsbesitz 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, ist falsch aufgestellt. Dort befindet sich etwa die Hälfte der Wirtschaft in Staatshand. Und dies in einem Land, in dem der Staat insgesamt wenig effizient organisiert ist. Eine Privatisierung könnte dem Land einen Produktivitätsschub geben.

Das Problem ist, dass Griechenland – anders als Schweden – keine Industrie hat. Es muss sich aber nicht auf Dienstleistungen wie Schifffahrt und Tourismus beschränken. Es ist mit viel Sonne und Wind ideal positioniert für erneuerbare Energien. Es hat Möglichkeiten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Die griechischen Warenexporte steigen derzeit um 23 Prozent. Die Importe verringern sich um 6 Prozent. Das zeigt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat.

Die Gläubiger müssen bei dem Modernisierungsprozess mitwirken. Es geht nicht nur darum, mehr Sparen und mehr Privatisierung zu verlangen und im übrigen Kredite zur Verfügung zu stellen. Warum bindet man die ohnehin versprochenen Hilfen nicht an bestimmte Projekte und Direktinvestitionen? Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die die deutschen Zahlungen abwickelt, könnte mit ihrem Know-how als Förderbank durchaus behilflich sein.

Für die Steuerzahler in den Gläubigerländern muss die Hilfe für Athen kein Fass ohne Boden sein. Bisher haben die Deutschen kein Geld verloren. Im Gegenteil, sie haben insgesamt verdient, weil sie die Gelder am Kapitalmarkt billiger aufnehmen konnten als sie diese an Athen weitergegeben haben.

Für den Anleger

Die Länder Griechenland, Irland und Portugal sind keine hoffnungslosen Fälle. Sie werden wieder nach oben kommen. Wer heute einen langen Atem hat und den richtigen Zeitpunkt erwischt, kann dort investieren (Aktien, Immobilien, Private Equity), vorausgesetzt natürlich die Preise stimmen. Auch die Zinsen werden nicht ewig so hoch bleiben. Freilich besteht für jeden Käufer von Staatsanleihen derzeit noch das Risiko einer Umschuldung. Der Euro wird nicht kaputt gehen. Wenn die Regierungen die notwendigen Maßnahmen zum Ausbau der Währungsunion ergreifen, kann es sogar sein, dass die Gemeinschaftswährung gestärkt aus der Krise herauskommt.

Freilich, bis dahin ist es noch ein langer Weg.

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© 15. Juni 2011/Martin Hüfner

Martin Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.