Hüfners Wochenkommentar: Doomsday am Kapitalmarkt?

Hüfner
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25. März 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Kommt in 14 Tagen der Doomsday für den europäischen Kapitalmarkt? Für Anfang April hatte die Europäische Zentralbank in Aussicht gestellt, dass sie die Leitzinsen erhöhen könnte. Nach dem Erdbeben in Japan sah es ein paar Tage so aus, als würde dieser Termin durch die Ereignisse in Japan verschoben. Jetzt spricht aber mehr und mehr dafür, dass es doch dazu kommt. Was bedeutet das für die Kapitalmärkte? Sind damit die „schönen Tage von Aranchuez“ vorbei?

Fangen wir mit den Aktienmärkten an. Rein theoretisch müsste sich eine Zinserhöhung negativ auf die Kursentwicklung auswirken. Der Abzinsungsfaktor für die künftigen Gewinne wird größer und damit geht bei gleichen Gewinnen die Unternehmensbewertung zurück. Die Finanzierung von Aktienkäufen wird teurer. Die Opportunitätskosten der Aktienanlage steigen.

Ich habe mir unter diesem Aspekt die Aktienkursentwicklung nach Zinserhöhungen in Deutschland in den letzten 50 Jahren angeschaut. Das Ergebnis: Nur in der Hälfte der insgesamt acht Restriktionsphasen in der Bundesrepublik gaben die Kurse nach. In der anderen Hälfte stiegen sie an, beziehungsweise eine Hausse setzte sich fort.

Interessant ist, dass es ausgerechnet die letzten drei Restriktionsphasen waren, die sich nicht negativ auf den Aktienmarkt auswirkten. In den 60er und 70er Jahren wirkten höhere Zinsen fast immer negativ.

So ganz einfach kann man also nicht sagen, dass Aktienmärkte immer negativ auf Zinserhöhungen reagieren. Es hängt vielmehr von der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Situation ab.

Entscheidend ist, ob die am Markt vorherrschenden Trends stärker oder schwächer sind als die geldpolitischen Bremsen. Ende der 80er Jahre beispielsweise überdeckte die deutsche Wiedervereinigung alle Einflüsse, die von der Bundesbank ausgingen. Die Märkte haussierten, obwohl die Leitzinsen in mehreren Schritten drastisch von 2,5 Prozent auf 8,25 Prozent angehoben wurden. Ähnlich die Situation Ende der 90er Jahre. Damals war die New-Economy-Hausse so dominant, dass die geldpolitischen Signale keine Rolle spielten. Der Zusammenbruch dieser Blase ab März 2000 hatte unmittelbar nichts mit der Geldpolitik zu tun.

Aber selbst wenn es nicht solche Mega-Events gibt, können die vorherrschenden Trends die Geldpolitik überdecken. 2005 beispielsweise befand sich die deutsche Wirtschaft in einer stabilen Aufwärtsentwicklung mit guten Gewinnen. Die Zinserhöhung von 2 Prozent in jenem Jahr auf immerhin 4,25 Prozent im Jahr 2008 ließ die Aktienmärkte weitgehend kalt. Die Aufwärtsentwicklung setzte sich fort (obwohl sie sich – wie heute – schon im dritten Jahr befand). Geholfen hat damals freilich, dass die Europäische Zentralbank die Zügel sehr vorsichtig und in kleinen Schritten anhob. Sie nahm in ihrer Kommunikation Rücksicht auf die Situation der Märkte.

Die jetzige Situation ähnelt der von 2005. Es gibt einen Aufschwung. Die Gewinne der Unternehmen steigen. Die EZB geht bei der Zinserhöhung, so wie es aussieht, eher vorsichtig vor. Ein Zusammenbruch der Aufwärtsentwicklung an den Aktienmärkten ist daher nicht zu befürchten, allenfalls eine etwas langsamere Aufwärtsentwicklung. Nur wenn der positive Grundtrend durch externe Ereignisse wie die in Japan, im Mittleren Osten oder in der Eurokrise unterbrochen wird, gewinnen die negativen Einflüsse von der Geldpolitik die Überhand.

Zu den Bond-Märkten: Theoretisch müssten sie auf höhere Geldmarktzinsen mit Kursverlusten beziehungsweise mit Zinssteigerungen reagieren. Am kurzen Ende ist das ganz offensichtlich, weil es direkt vom Geldmarkt beeinflusst wird. Am langen Ende ist es nicht zwangsläufig. Hier könnte sich auch die Zinsstruktur verringern.

Tatsächlich haben sich die Zinssätze am langen Ende des Marktes als Reaktion auf eine beginnende geldpolitische Restriktion in der überwiegenden Zahl der Fälle erhöht. Es gab nur einen Ausreißer. Das war Ende 1999. Damals gingen die Renditen für 10-jährige Bundesanleihen nach der Zinserhöhung der EZB von 5,3 Prozent auf 4,9 Prozent zurück. Das war zwar nicht dramatisch, aber doch ungewöhnlich. Der Grund lag darin, dass die Zinsen schon vorher – als Folge der Einführung des Euro – um über 1,5 Prozentpunkte angestiegen waren. Die Notenbank war mit ihrer Maßnahme also „hinter der Kurve“. Da war dann keine weitere Reaktion der Bonds-Märkte mehr erforderlich.

Für den Anleger

Sie brauchen vor der voraussichtlichen Zinserhöhung durch die EZB in 14 Tagen keine Angst zu haben. Die Märkte befinden sich insgesamt in einer so stabilen Verfassung, dass sie von EZB-Maßnahmen nicht umgeworfen werden. In Deutschland dürfte das Kursplus allerdings nicht so groß ausfallen, da das gesamtwirtschaftliche Wachstum geringer ist und die Kosten stärker steigen. In den USA sehen die Aussichten besser aus, weil dort das Wirtschaftswachstum höher als im Vorjahr ausfallen wird. Die Risiken für die Aktienmärkte gehen nicht von der Notenbank aus, sondern eher von den großen internationalen Krisenherden. Auf den Bonds-Märkten könnte sich die Zinserhöhung nach den historischen Erfahrungen in Deutschland stärker auswirken. Hier ist freilich zu berücksichtigen, dass die Zinsen in den letzten sechs Monaten schon um gut einen halben Prozentpunkt gestiegen sind. Hinzu kommt, dass die Zinsstruktur noch sehr steil ist. Ich rechne daher auch hier mit keinen besonders starken Wirkungen einer Zinserhöhung.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 25. März 2011/Martin Hüfner

Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.