Hüfner
26. August 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Der Hauptgrund für den Verfall der Aktienkurse in den letzten Wochen ist die Angst vor einer Rezession vor allem in Amerika, vielleicht aber auch in Europa. Ist die Sorge gerechtfertigt?
Richtig ist, dass sich das Wachstum sowohl in den USA als auch in Europa zuletzt deutlich verlangsamt hat. Der Aufschwung ist zu Ende, jetzt kommt die Phase der Normalität. Daraus kann man aber nicht zwangsläufig auf eine Rezession schließen. Die Gründe, die für einen „Double Dip“, also einen zweimaligen Einbruch der Konjunktur nacheinander angeführt werden, sind aus meiner Sicht weder zwingend noch überzeugend.
Erstens wird gesagt, dass die Konjunkturindikatoren nach unten zeigen. Am stärksten brach in der vorigen Woche der „Philly-Fed-Index“ ein. Er hat fast schon wieder das Tief von 2009 erreicht. Freilich bezieht er sich nur auf die Region Philadelphia an der amerikanischen Ostküste. Der Index des Institute of Supply Management, der die gesamte US-Wirtschaft betrifft, sieht lange nicht so ungünstig aus. Die zur Lagebeurteilung wichtigen Aufträge für langlebige Güter in den USA sind diese Woche sogar überraschend stark gestiegen. Das Bild der Indikatoren ist also eher gemischt.
Zweitens sind Unternehmer und Verbraucher über die mangelnde Handlungsfähigkeit der Politik in der Schuldenkrise verunsichert. Andererseits sind die für die Konjunktur so wichtigen Gewinne der Firmen, vor allem die Gewinnmargen, nach wie vor gut. Unternehmen und Verbraucher führen ihre Verschuldung zurück.
Drittens laufen zum Jahresende steuerliche Vergünstigungen aus (payroll tax, Abschreibungserleichterungen, verlängerte Arbeitslosenunterstützung). Das bremst die Inlandsnachfrage. Dem steht aber das anhaltende Wachstum der Schwellenländer gegenüber. Es wird nicht so schnell abbrechen. Die US-Exporte von Gütern und Diensten nehmen derzeit um 16 Prozent zu.
Es ist in dieser Situation ganz hilfreich, sich einmal die Geschichte der Konjunkturzyklen anzuschauen. Die Grafik zeigt die Rezessionen in den USA in den letzten 70 Jahren (jeweils die grau schraffierten Balken). Von einem Konjunkturtief zum anderen dauerte es im Schnitt fünf Jahre. Wenn sich das so fortsetzen würde, wäre die nächste Rezession erst im Sommer 2014 zu erwarten. Berücksichtigt man, dass die Länge der Zyklen in den letzten zwei Jahrzehnten spürbar zugenommen hat, dürfte das nächste Tief sogar erst 2017 kommen. Bis dahin ist noch einige Zeit.
Ich ziehe daraus den Schluss: Wir sind nicht „gefährlich nahe an der Rezession“ wie Morgan Stanley schreibt. Wir befinden uns vielmehr in der bekannten „W“-Formation mit mal steigenden, mal fallenden Wachstumsraten. Die USA hatten ein Tief im ersten Quartal dieses Jahres. Im zweiten ging es schon wieder leicht nach oben. Das wird sich so wie es aussieht im dritten fortsetzen. Deutschland hatte ein Tief im zweiten Quartal. Das dritte Quartal dürfte wieder etwas besser werden. Bei einer solchen „W“-förmigen Bewegung kann es natürlich passieren, dass ein oder zwei Quartale mal hinter das Vorquartal zurückfallen, es also „negatives Wachstum“ gibt. Der Volkswirt bezeichnet das als technische Rezession. Tatsächlich ist es jedoch eher ein Ausrutscher. „Gefühlt“ stehen weder die USA, noch Europa, noch die Weltwirtschaft insgesamt vor einem Einbruch.
Trotzdem kann man nicht ganz Entwarnung geben. Es gibt, wie die Grafik zeigt, in der jüngeren US-Geschichte einen Fall eines „Double Dip“. Das sind die Rezessionen der Jahre 80/81. Damals geriet die Inflation in den USA außer Rand und Band und musste durch drastische geldpolitische Maßnahmen eingefangen werden. Das beendete den Aufschwung abrupt.
So etwas könnte sich – in anderer Form – wiederholen. Jetzt ist nicht die Zunahme der Verbraucherpreise das Problem, sondern die der Vermögensgüter. Bei Bonds, bei Gold, bisher auch bei Aktien gibt es liquiditätsbedingte Preissteigerungen. Wenn diese Blasen so zusammenbrechen – vielleicht auch noch gleichzeitig – wie die Aktienmärkte in den letzten Wochen und wenn das über längere Zeit anhält, dann kann das realwirtschaftliche Auswirkungen haben. Es könnte zu einer Rezession führen. Eine solche Entwicklung ist nicht meine Prognose. Es ist aber ein Szenario, das man mit einer Wahrscheinlichkeit von vielleicht 20 Prozent einkalkulieren muss.
Für den Anleger
Wenn es richtig ist, dass die derzeitigen Rezessionsängste übertrieben sind, dann müssten die Aktienkurse bald wieder nach oben gehen. Aber Vorsicht: Diese Aktienkrise ist anders als frühere. Sie kann weder durch die Geld- noch durch die Fiskalpolitik aufgehalten werden. Die Zinsen sind so niedrig, dass sie nicht weiter sinken können. Die Schulden sind so hoch, dass ein „Deficit Spending“ nicht mehr finanziert werden kann. Es wird daher länger als üblich dauern, bis die Märkte einen Boden finden. Vielleicht geht es dann auch nicht so schnell nach oben.
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© 26. August 2011/Martin Hüfner
Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.