Hüfner
1. Juli 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Im ersten Halbjahr ist die Gesamtwirtschaft noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Es gab zwar eine Reihe von negativen Ereignissen – von Fukushima über Nordafrika bis zur Eurokrise. Ihnen standen jedoch das gute konjunkturelle Wachstum und die starke Zunahme der Unternehmensgewinne gegenüber. Ich fürchte, im zweiten Halbjahr müssen wir uns auf etwas schwierigere Bedingungen einstellen. Hier ein paar Highlights.
Wachstum: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird sich abkühlen. Der Welthandel wird nicht mehr so stark expandieren. Der Baltic-Dry-Index bewegt sich schon seit zwei Monaten seitwärts. In China dürfte sich – nach den Umfragen der Einkaufs-Manager – das Wachstum auf vielleicht 8 Prozent bis 9 Prozent verlangsamen (nach 10 Prozent im Vorjahr).
Besonders schwierig stellt sich die Entwicklung in den USA dar. Dort stürzt der richtungsweisende Index des Institute of Supply Management (ISM) regelrecht ab. Allerdings ist er, wie die Grafik zeigt, vorher sehr stark gestiegen. Deutlich schneller als beispielsweise der deutsche ifo-Index. Der Immobilienmarkt liegt am Boden. Die Häuserpreise gehen wieder zurück. Das zweite Halbjahr wird hart.
In Europa ist die Konjunktur dreigeteilt. Am schlimmsten ist es in der Peripherie. Hier gibt es zum Teil noch weiter Rezession. Gemäßigtes Wachstum mit Raten von um die 2 Prozent haben unter anderem Frankreich, Benelux und Österreich. Deutschland ragt ganz oben heraus. Es sieht, mit Wachstumsraten von über 3 Prozent, unter den Industrieländern fast wie ein Schwellenland aus. Aber auch hier wird sich die Dynamik in den nächsten sechs Monaten abschwächen.
Den Absturz der Welt in eine neue Rezession, wie er zum Teil in den Vereinigten Staaten befürchtet wird, wird es freilich nicht geben. Dazu wachsen die Schwellenländer nach wie vor zu stark. Die monetären Bedingungen sind zu gut. Die derzeit hohen Rohstoffpreise werden zurückgehen. Die Unternehmensgewinne werden unter den gegebenen Wachstumsbedingungen nicht mehr so stark steigen. Für viele Firmen wird es wegen des steigenden Wettbewerbs zudem immer schwerer, die Rohstoffpreise auf die Abnehmer überzuwälzen.
Inflation: Wenn die Wirtschaft langsamer wächst, verliert die Preisentwicklung etwas von ihrem Schrecken. Das ist die gute Nachricht. Im Vorjahresvergleich kann die Geldentwertung zwar noch einmal etwas größer werden (in Euroland über 3 Prozent). Das ist aber nur vorübergehend. Ein Unsicherheitsfaktor sind die Rohstoffpreise. Wenn es hier aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen zu Engpässen kommen sollte (was immer möglich ist), zeigt sich das schnell in der Inflation.
Geldpolitik: Die Zentralbanken werden trotz nachlassen dem Inflationsdruck den Exit aus der ultralockeren Geldpolitik fortsetzen. In Europa wird die Europäische Zentralbank nach der angekündigten Zinserhöhung in der nächsten Woche noch ein oder zwei Zinsschritte nach oben gehen. Das ist keine Restriktion, vor allem keine Reaktion auf akute Inflationsgefahren. Es ist eine Normalisierung der Verhältnisse nach der Krise. Erst wenn der Leitzins 2 Prozent erreicht hat, wird die EZB sich stärker an Konjunktur und Geldentwertung orientieren. In den USA werden die Leitzinsen zunächst nicht steigen. Wohl aber wird die Federal Reserve die Liquiditätsversorgung nach dem Auslaufen des Quantitative-Easing-2-Programms (600 Millaraden US-Dollar Käufe von Staatsanleihen) knapper halten.
Staatenrisiken: Das große Problem wird weiterhin der Gegenwind von den großen Krisenherden sein. Fukushima ist weitgehend ausgestanden. Die japanische Wirtschaft wird im zweiten Halbjahr wieder Fahrt aufnehmen. Die Lieferengpässe sind zum größten Teil vorbei. Was weiter – und vielleicht sogar noch verstärkt – belastet, ist die Eurokrise. Nach der Zustimmung des griechischen Parlaments zu dem Sparpaket ist zwar eine wichtige Hürde genommen, aber noch ist das zweite große Hilfspaket für Athen nicht unter Dach und Fach. Die geplante „sanfte Umschuldung“ sieht bisher noch sehr sanft aus. Es würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt oder später noch einmal aufgestockt werden muss. Noch ist nicht klar, wie die griechische Wirtschaft wieder in Fahrt kommen soll. Das aber ist die Vorbedingung für eine wirkliche Gesundung.
Risiken können im zweiten Halbjahr auch von den amerikanischen Staatsfinanzen ausgehen. Durch die Verschlechterung der Wirtschaftslage rückt eine Rückführung der öffentlichen Defizite weiter in die Ferne. Es kann leicht passieren, dass die Gläubiger das Vertrauen verlieren, vor allem die Chinesen (dies aber primär aus politischen Gründen).
Unverändert hoch ist das Risiko aus den hohen Kapitalzuflüssen in die Schwellen- und Entwicklungsländer. In diesem Jahr belaufen sie sich auf rund 1.000 Milliarden US-Dollar. Es sind in erster Linie kurzfristige Gelder, die die Empfängerländer nicht brauchen und gegen die sie sich mit allen Mitteln wehren (Devisenmarktinterventionen, Kapitalverkehrskontrollen). Das erinnert an die Situation vor über zehn Jahren, die damals zur Asienkrise führte.
Für den Anleger
Bleiben Sie vorsichtig. Ich rechne am Aktienmarkt zwar nicht mit einem größeren Einbruch im zweiten Halbjahr. Dazu ist die Konjunktur zu gut. Ich wäre aber sehr überrascht, wenn wir bei den Aktienkursen am Jahresende deutlich über dem jetzigen Niveau wären. Ich rechne für Ende 2011 mit einem DAX von 7.300 bis 7.400. Nach einer Zinswende nach oben, mit der viele Investoren rechnen, sieht es aus meiner Sicht zunächst nicht aus.
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© 1. Juli 2011/Martin Hüfner
Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.