Hüfners Wochenkommentar: Vor einer Rezession wie 2009?

huefner+martin+120x125.jpg
Hüfner

1. November 2012. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Stimmung in den deutschen Unternehmen ver­schlech­tert sich schneller als gedacht. Die Prognosen für die weitere Entwicklung werden nach unten revidiert. Die Volkswirte der Deutschen Bank stellten in dieser Woche erstmals ein Wachstum von nur noch 0,5 Prozent in Deutschland für nächstes Jahr in den Raum. Viele Kun­den fragen mich, ob es jetzt eine Rezession wie 2009 geben könnte. Damals brach das reale Bruttoinlands­produkt um 5,2 Prozent ein.

Huefner_011112

Fünf Entwicklungen verunsichern im Augenblick:

Erstens der Absturz beim ifo-Index. Der Index ist im Allgemeinen ein zuverlässiger Indikator der wirtschaft­lichen Entwicklung. In der Grafik habe ich den Verlauf seit Ende 2010 mit dem seit Ende 2006 verglichen. Es zeigt sich eine frappierende Ähnlichkeit. Nur in den letz­ten vier Monaten geht es derzeit etwas langsamer nach unten als 2008. Damals stand die Wirtschaft je­doch un­mittelbar vor dem Schock der Lehman-Pleite, diesmal hat sich gerade die Eurokrise etwas entspannt.

Zweitens der dramatische Einbruch in der Automobil­industrie, einem der Herzstücke der deutschen Wirt­schaft. Im September wurden in Deutschland 11 Prozent weniger Personenwagen als vor einem Jahr zugelassen und 16 Prozent weniger Pkws produziert. Bei Lastwagen verringerten sich die Neuzulassungen sogar um 17 Prozent. Das hat natürlich Rückwirkungen auf andere Branchen.

Drittens, was in der Öffentlichkeit weniger beachtet wird, aber nicht weniger wichtig ist: Die konjunkturzyklische Bewegung. Nach dem Muster der Vergangenheit wäre ein Tiefpunkt der Wirtschaftsentwicklung Ende 2013, An­fang 2014 zu erwarten. Es geht also nach unten, nicht nach oben. Das darf man nicht überbewerten, es ist aber ein weiterer Mosaikstein. 

Viertens wird es im Euroraum insgesamt, so wie es in Südeuropa und in Frankreich derzeit aussieht, auch 2013 eine Rezession geben. Es ist kaum vorstellbar, dass sich Deutschland in einem so eng verflochtenen Gebiet auf Dauer diesen Einflüssen entziehen kann. Die Über­tragung vollzieht sich hier ja nicht nur über den Ex­port, sondern auch über das gesamte Wirtschaftsklima. Häu­fig sind es die gleichen Unternehmen, die in mehre­ren Ländern arbeiten.

Fünftens schließlich gibt es in Deutschland eine Vielzahl von beunruhigenden Einzelindikatoren. Die Arbeitslosig­keit ist in den vergangenen Monaten mit einer Jahresrate von 200.000 gestiegen. Die Kredite an Unternehmen und Privatpersonen erhöhen sich nur schwach (1,1 Prozent im September). Die Firmen sind beim Ausblick auf 2013 zunehmend vorsichtig.

Daraus folgere ich: Es sieht nicht gut aus für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Für 2013 ist in Deutschland mit Stagnation, vielleicht auch mit einem Rückgang der realen Wirtschaftsleistung zu rechnen. Der Aufschwung ist erst einmal vorbei. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Die Unternehmensgewinne kommen unter Druck. Än­dern könnte sich das nur, wenn die Eurokrise überra­schend beendet würde. Damit rechne ich derzeit aber nicht.

Das ist die schlechte Nachricht. Allerdings, so schlecht wie 2009 wird es nicht werden. Dazu könnte es nur kommen, wenn es einen großen Knall in der Welt­wirt­schaft oder im Euroraum gäbe. Also wenn es den USA nicht gelänge, die automatischen Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen am Jahresende im Zusammen­hang mit dem „Fiscal Cliff“ zu vermeiden. Oder wenn Grie­chenland (und vielleicht noch andere) aus dem Euro ausscheiden müssten.

Ansonsten gibt es eine Reihe von Punkten, die einen Ab­sturz wie 2009 verhindern. Am wichtigsten ist, dass der private Verbrauch sich wesentlich besser als damals entwickelt. Die verfügbaren Einkommen wachsen um über 2 Prozent. Das Konsumklima liegt auf dem höchsten Stand seit fünf Jahren. Das ist zwar kein Ruhekissen, weil es sich mit der Zeit ändern kann. Zunächst hilft es aber die Lage zu stabilisieren.

Der Export wächst allen Unkenrufen zum Trotz mit einer Jahresrate von über 5 Prozent. In der Krise 2009 stürzte er um mehr als 30 Prozent ab. Heute profitiert er von dem güns­tigen Wechselkurs und dem expandierenden Welthan­del. Der Baltic-Dry-Index, ein Indikator für den Welthan­del, hat sich in den vergangenen sechs Wochen fast verdoppelt. In den USA war das Wachstum im zweiten Quartal überraschend hoch (2 Prozent). Chinas Wirtschafts­leistung liegt 7,4 Prozent über Vorjahr.

Auftragseingänge und Industrieproduktion in Deutsch­land steigen nach wie vor. Vor allem der Bau zeigt nach oben.

Es wird immer wieder gesagt, dass die Konjunkturpolitik anders als 2009 ihr Pulver verschossen habe. Das ist nicht richtig. Die schlechte wirtschaftliche Lage in Euro­pa ist ja in erster Linie durch die Konsolidierungsmaß­nah­men bedingt. Wenn alle Stricke reißen, wäre es ein Leichtes, die Rückführung der öffentlichen Defizite zeit­lich zu strecken.

Gegen einen Einbruch wie 2009 spricht schließlich die Entwicklung der Aktienmärkte. Damals ging es mit den Kursen kräftig nach unten, diesmal gehen sie nach oben.

Für den Anleger

Der Aktienmarkt hatte in diesem Jahr zusätzlich zu den Impulsen von der Liquidität Rückenwind von der Kon­junk­tur. Das fällt im nächsten Jahr weg – wenn sich die Eurokrise nicht nachhaltig bessert. Das gute Klima an den Aktienmärkten kann zwar noch eine Weile anhalten, die Zuwächse werden 2013 aber geringer werden.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 1. Novemer 2012 /Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.