Hüfners Wochenkommentar: Wachstumsdynamik verlangsamt sich

Hüfner
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1. April 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Jetzt kommt die Zeit, in der neue Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung vorgelegt werden. Das wird interessant. Setzt sich die konjunkturelle Beschleunigung, die wir in den letzten Monaten erlebt hatten fort? Kommt es möglicherweise zu einer Überhitzung? Oder ist es nach dem GAU aus Eurokrise, politischen Umwälzungen in Nordafrika und dem Nahen Osten sowie den Ereignissen in Japan mit der Erholung erst einmal vorbei?

Baltic Dry-Index erholt sich


Bloomberg

Von vielen höre ich, man solle jetzt nicht zu pessimistisch sein. Die Einflüsse von Japan hielten sich bis auf ein paar vorübergehende Betriebsunterbrechungen bei Autos, iPads und anderem in Grenzen. Die Geschäftsklimaindizes gehen weiter nach oben. Der kleine Rückschlag bei der Erwartungskomponente im ifo-Index im März sei bei dem erreichten Niveau nicht zu ernst zu nehmen. Der Baltic Dry-Index, der die Dynamik des Welthandels misst und den Vorteil hat, dass er nicht
nur monatlich, sondern täglich ermittelt wird, ist seit
dem Erdbeben um knapp 8 Prozent gestiegen (siehe Grafik). Der Aufschwung ist so wie es aussieht also intakt.

Ich traue dem Frieden nicht. Acht Gründe dafür: Erstens scheint sich das Unglück in Japan für die Weltwirtschaft als schwieriger darzustellen als es ursprünglich aussah. Der Kobe-Effekt tritt nicht ein. Nach dem Erdbeben in Kobe 1995 hatte sich die Wirtschaft überraschend schnell wieder erholt. Diesmal verzögern die andauernden atomaren Strahlungen den Wiederaufbau und die Normalisierung in der Region. Ich war überrascht, bei wie vielen wichtigen Vorprodukten die Japaner eine know-how-bedingte Alleinstellung auf dem Markt haben. Vor allem die Automobilindustrie ist davon betroffen. Einige Werke mussten die Produktion bereits einstellen. Die Autoindustrie hat in der Bundesrepublik einen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung von 3 Prozent, einschließlich aller Vorleistungen könnten es 6 Prozent bis 7 Prozent sein. Sie ist damit eine der größten Branchen. Da schlagen Produktionsunterbrechungen schon auf die Gesamtwirtschaft durch.

Zweitens steigen die Ölpreise. Sie liegen inzwischen
um 25 Prozent über dem Vorjahr. Seit Anfang 2011 haben sie noch einmal um 15 Prozent zugelegt. Weiterer Erhöhungen sind nicht auszuschließen. Das erhöht die Kosten und verringert die Kaufkraft der Verbraucher.

Drittens gehen die Strompreise nach oben, wenn Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Das trifft vor allem energieintensive Unternehmen. Natürlich bedeutet die Umstellung auf erneuerbare Energien auch neue Investitionen. Aber bis sie wachstumsrelevant werden, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen.

Viertens – ein ganz anderes Gebiet – hat die politische Führung in China beschlossen, das Wachstum in den nächsten fünf Jahren von bisher 11 Prozent auf 7 Prozent p. a. zu reduzieren. Das ist eine deutliche Verlangsamung. Niemand weiß, ob das schon in diesem Jahr virulent wird. Unwahrscheinlich ist es aber nicht. Die Verbraucher-preise steigen derzeit mit 4,9 Prozent deutlich zu stark und erfordern entsprechende Gegenmaßnahmen.

Fünftens: Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, dass sie die Leitzinsen demnächst anheben wird. Das wird vermutlich zunächst nicht dramatisch sein (0,25 Prozentpunkte, nehme ich an). Es ist aber erst der Anfang. Weitere Anhebungen werden folgen.

Sechstens steigen die Löhne in diesem Jahr so wie es aussieht weniger als ich ursprünglich vermutet hatte. Das nominale Bruttoinlandsprodukt dürfte sich in diesem Jahr um rund 4,5 Prozent erhöhen, die Löhne aber vermutlich nur um maximal 3,5 Prozent brutto. Das ist gut für die Unternehmensgewinne. Für den privaten Verbrauch bleibt dabei aber abzüglich der Steuern und Abgaben sowie der Preissteigerungen nicht mehr viel übrig. Eine stärkere Einkommenssteigerung ergibt sich allein durch die Zunahme der Beschäftigung.

Siebtens muss auch die Psychologie berücksichtigt werden. Ich kann mich nicht erinnern, so viel Krise auf einmal schon je erlebt zu haben. Dazu kommen in Deutschland die Veränderungen durch die Wahlen. Da werden die Unternehmen mit ihren Planungen vorsichtiger.

Achtens schließlich macht mich nachdenklich, dass die Aktienmärkte an Dynamik verloren haben. Die Anleger (vor allem die Profis, weniger die Privaten) haben nicht mehr so viel Vertrauen in die weitere Aufwärtsentwicklung.

Die Konsequenz: Die Zeit des Heraufrevidierens der Prognosen ist zu Ende. Ab jetzt werden die Prognosen gehalten oder eher nach unten korrigiert. Ich bin bisher von einem Wachstum von 2,5 Prozent bis 3 Prozent in Deutschland im Jahr 2011 ausgegangen. Jetzt rechne ich eher mit 2 Prozent bis 2,5 Prozent. Das ist immer noch eine ordentliche Zahl. Wenn wir 2012 eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts von 2 Prozent erreichen sollten, dann können wir sehr glücklich sein. Das läge deutlich über dem langfristig erreichbaren Potenzialwachstum. In den USA wird die Wachstumsrate freilich deutlich höher liegen.

Für den Anleger

Jetzt werden konjunkturell wieder kleinere Brötchen gebacken. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Aktien. Die Gewinne werden zwar noch gut sein, die Risiken jedoch deutlich höher. Wenn wir in diesem Jahr beim DAX ein Plus von 5 Prozent (auf den Jahresendstand) hinbekommen, wäre das ein gutes Ergebnis. Für die USA sehen die Marktperspektiven etwas besser aus.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com

© 1. April 2011/Martin Hüfner

Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.