Neuemissionen: Vertrauen spürbar gesunken – IPO-Pipeline in der Warteschleife


Kaserer, TUM

21. November 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Euro-Schuldenkrise hat also die Stimmung am
Primärmarkt deutlich eingetrübt. Nachdem der IPO-Indikator im zweiten Quartal bereits deutlich gefallen war, ist er im dritten Quartal mit einem Rückgang von 29,80 auf 27,97 Punkte weiter gefallen – und damit erstmals wieder unter das Niveau des ersten Quartals 2009. Die Befragung der Marktteilnehmer macht außerdem deutlich, dass derzeit kaum jemand an eine
kurzfristige Erholung der IPO-Märkte glaubt. Zeit für IPO-Kandidaten, die für eine verbesserte Vorbereitung genutzt werden sollte.

Abbildung 1: IPO-Indikator-Ampel

Sprunghaft gestiegene Volatilität …

VDAX-New

Der VDAX-New gibt die vom Terminmarkt zu erwartende Schwankungsbreite des DAX-Index für die nächsten 30 Tage an. Grundlage für die Berechnung sind die Optionspreise der DAX-Werte und damit die implizite Volatilität, d.h. die zurzeit vom Markt erwartete Intensität zukünftiger Preisschwankungen.

Historische Erfahrungen zeigen, dass die Aktivitäten am IPO-Markt zyklischen Bewegungen unterliegen.
Welche Faktoren solche Zyklen auslösen, ist zwar umstritten, dennoch lassen sich gewisse Muster erkennen. Eines dieser Muster besteht darin, dass ein Rückgang der Preisvolatilität den Primärmarkt belebt.

Dieses Muster spiegelt sich in vielen Märkten wider, so auch in Deutschland, wie Abbildung 2 zeigt.

Die Verschärfung der Euro-Schuldenkrise im Juli 2011 hat den seit Anfang 2009 anhaltenden Trend einer
rückläufigen Volatilität deutscher Aktien gestoppt. Gemessen am VDAX-New hat sich die erwartete Schwankungsbreite zwischen Ende Juni und Oktober 2011 von rund 18 auf rund 34 Prozent beinahe verdoppelt, mit zwischenzeitlichen Werten deutlich über
40 Prozent. Angesichts der genannten historischen Erfahrungen muss man davon ausgehen, dass sich diese erhöhte Volatilität negativ auf die Emissionstätigkeit auswirken wird.

… und Seitwärtsbewegung im DAX geben ein verhaltenes Bild

Ein zweites Muster besteht im Zusammenhang zwischen Kursentwicklung und Börsengängen. Auch
hier zeigen Analysen, dass einem Aufschwung am Primärmarkt in der Regel ein Kursaufschwung an der jeweiligen Börse vorausging und umgekehrt. Auch dieser Zusammenhang wird in Abbildung 2 bestätigt. Aufgrund der Zuspitzung in der Euro-Schuldenkrise haben DAX-Aktien zwischen Ende Juni und Ende Oktober 2011 rund 17 Prozent an Wert verloren,
wobei dieser Rückgang zwischenzeitlich schon deutlich höher war. Diese niedrigeren Bewertungen der Unternehmen sollten potentielle Emittenten zur Zurückhaltung veranlassen.

Abbildung 2: Gleitender Durchschnitt der Zahl der IPOs sowie DAX und VDAX-New


Blaue Linie: Verlauf DAX (indexiert); Schwarze Linie: Verlauf VDAX-New (indexiert), Graue Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)

Wahrgenommenes Underpricing rückläufig …

Underpricing

Man spricht von Underpricing, wenn der erste Börsenkurs über dem Emissionspreis festgestellt wird. Das Underpricing-Sentiment gibt wieder, wie erfolgreich die IPOsin der Vergangenheit aus Sicht der Marktteilnehmer gewesen sind. Dazu wird die wahrgenommene Differenz zwischen Emissionspreisen und den ersten Marktpreisen ermittelt. Die Stärke der Wahrnehmung ist nicht rein rational, sondern wird von Faktoren wie dem zeitlichen Abstand begrenzt.

Ein weiteres wichtiges Element in der Entwicklung der Primärmärkte sind die Preissignale, die von durchgeführten IPOs ausgehen. Hierbei spielt insbesondere das Underpricing eine Rolle, weil es ein Signal für die Kaufbereitschaft der Investoren ist und gleichzeitig eine sich selbst verstärkende Feedback-Schleife bei Investoren auslösen kann.

Tatsächlich lässt sich das Underpricing als Prädiktor für die Primärmarktaktivität einsetzen. Dieser Zusammenhang
wird in Abbildung 3 anhand des Underpricing-Sentiment dargestellt – der Durchschnitt des Underpricings aller IPOs der letzten 18 Monate mit einer zeitabhängigen Gewichtung. Aufgrund der eher geringen Zahl von IPOs sollte diese Größe allerdings
nicht überinterpretiert werden.

Ende 2009 lag dieses Underpricing-Sentiment bei rund 5 Prozent, Ende 2010 bei 0. Mittlerweile ist
es um weitere 5 Prozent gesunken. Möglicherweise gibt es einen langfristigen Trend am Primärmarkt mit abnehmendem Underpricing. Dennoch spricht auch dieses Signal aufgrund der historischen Erfahrungen gegen eine Belebung der IPO-Aktivität in den kommenden Monaten.

Abbildung 3: Underpricing Sentiment und Zahl der IPOs


Blaue Linie: Underpricing-Sentiment; Graue Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)

… ebenso wie das IPO-Klima

Die Stimmung am Primärmarkt wird mit Hilfe einer Befragung von Entscheidungsträgern bei Banken,
Emittenten und Investoren von der Deutschen Börse erhoben. Die Ergebnisse dieser Befragung werden in einem Indexwert, dem so genannten IPO-Klima, zusammengefasst. Der historische Verlauf dieses IPO-Klimas wird in Abbildung 4 wiedergegeben. Wie man sehen kann, spiegelte diese subjektive Einschätzung der Entscheidungsträger die tatsächliche Entwicklung am Primärmarkt gut wieder.

Zwischen März 2009 und Dezember 2010 hat sich das IPO-Klima kontinuierlich verbessert, seit diesem
Jahr ist der Trend allerdings rückläufig. Aktuell steht das IPO-Klima bei 29,38 Punkten und damit nur noch knapp über dem Niveau des zweiten Quartals 2009.

Abbildung 4: IPO-Klima und Zahl der IPOs


Blaue Linie: IPO-Klima in Punkten; Graue Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)

Wenig Vertrauen in eine kurzfristige Erholung

Ausgelöst wurde der Rückgang des IPO-Klimas in den zurückliegenden drei Monaten vor allem durch
eine starke Skepsis der befragten Marktteilnehmer, wie sich der IPO-Markt weiterentwickelt. Damit ist bereits das zweite Mal in Folge die Erwartung an die Entwicklung des IPO-Marktes zurückgegangen.

Die Darstellung in Abbildung 5 zeigt dabei zweierlei: Zum einen ist dieser Vertrauensrückgang bei allen
Marktteilnehmern nahezu identisch ausgeprägt. Zum anderen wurde die deutliche Erholung, die genau in
diesem Punkt seit März 2009 festzustellen war, in zwei Quartalen zunichte gemacht. Die aktuelle Einschätzung
liegt nur noch geringfügig über jener vom ersten Quartal 2009.

Als Fazit kann man ziehen, dass die zahlreichen Unternehmen, die in der nächsten Zeit einen Börsengang planen, die marktbedingte Wartezeit zu einer optimalen Vorbereitung nutzen sollten. Das verbessert die Aussichten für diese Unternehmen dann auch zügig einen Börsengang durchzuführen, wenn sich das IPO Fenster wieder öffnet.

Abbildung 5: Einschätzung der Primärmarktaktivität durch die Marktteilnehmer


Blaue Linie: Emittenten; Graue Linie: Banken; Schwarze Linie: Investoren

© 21. November 2011 / Christoph Kaserer, TU München