Kaserer, TUM
19. August 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Mit insgesamt sechs IPOs ging es am Primärmarkt vom Mai bis Juli rege zu, wenngleich nicht überdurchschnittlich.
Allerdings hat sich die Stimmung ab Mitte Juli aufgrund der Euro-Schuldenkrise deutlich verschlechtert. Der Deutsche Börse IPO-Indikator ist von 32,66 auf 29,80 Punkte gefallen und liegt damit seit Juni 2009 erstmals wieder unter 30 Punkten. Ausgelöst wurde dieser Rückgang durch eine deutliche Verschlechterung des IPO-Klimas, wie es in der Befragung von Marktteilnehmern durch die Deutsche Börse zum Ausdruck kommt.
Abbildung 1: IPO-Ampel
Sprunghaft gestiegene Volatilität …
VDAX
Der VDAX gibt die vom Terminmarkt zu erwartende Schwankungsbreite des DAX-Index für die nächsten 45 Tage an. Grundlage für die Berechnung sind die DAX-Optionspreise und damit die implizite Volatilität, d.h. die zurzeit vom Markt erwartete Intensität zukünftiger Preisschwankungen.
Historische Erfahrungen zeigen, dass die Aktivitäten im Primärmarkt
zyklischen Bewegungen unterliegen. Welche Faktoren solche Zyklen
auslösen, ist zwar umstritten, dennoch lassen sich gewisse Muster
erkennen. Eines dieser Muster besteht darin, dass ein Rückgang der
Preisvolatilität den Primärmarkt belebt. Dieses Muster spiegelt sich auf
vielen Märkten wider, so auch in Deutschland, wie Abbildung 2 zeigt.
Mit dem erneuten Aufbrechen der Euro-Schuldenkrise im Juli 2011 ist die seit dem ersten Quartal 2009 rückläufige Volatilität im deutschen Aktienmarkt entfacht. Gemessen am VDAX hat sich die Schwankungsbreite der Bluechips zwischen Ende Juni und Mitte August 2011 von rund 18 auf rund 36 Punkten ziemlich genau verdoppelt. Aufgrund der genannten historischen Erfahrungen muss man davon ausgehen, dass diese erhöhte Volatilität negativ auf die IPO-Aktivität wirkt.
Abbildung 2: Anzahl IPOs und VDAX
Blaue Linie: VDAX; Rote Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
… und Abwärtsbewegung im DAX geben ein verhaltenes Bild
Ein zweites Muster besteht im Zusammenhang zwischen Kursentwicklung und
Börsengängen. Auch hier zeigen Analysen, dass einem Aufschwung am
Primärmarkt in der Regel ein Kursaufschwung an der jeweiligen Börse
vorausging. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 3 bestätigt. Mit der Zuspitzung der Schuldenkrise verzeichnete der DAX zwischen Ende Juni und Mitte August 2011 einen Kursrückgang von rund 20 Prozent. Die damit einhergehenden schlechteren Bewertungen der Aktien veranlassen potentielle Emittenten zur Zurückhaltung.
Abbildung 3: Anzahl IPOs und DAX (indexiert)
Blaue Linie: DAX; Rote Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
Wahrgenommenes Underpricing rückläufig …
Underpricing
Man spricht von Underpricing, wenn der erste Börsenkurs über dem Emissionspreis festgestellt wird. Das Underpricing-Sentiment gibt wieder, wie erfolgreich die IPOsin der Vergangenheit aus Sicht der Marktteilnehmer gewesen sind. Dazu wird die wahrgenommene Differenz zwischen Emissionspreisen und den ersten Marktpreisen ermittelt. Die Stärke der Wahrnehmung ist nicht rein rational, sondern wird von Faktoren wie dem zeitlichen Abstand begrenzt.
Ein weiteres wichtiges Element in der Entwicklung der Primärmärkte sind die Preissignale, die von durchgeführten IPOs ausgehen. Hierbei spielt insbesondere das Underpricing eine Rolle, weil es ein Signal für die Kaufbereitschaft der Investoren ist und gleichzeitig eine sich selbst verstärkende Feedback-Schleife bei den Investoren auslöst. Tatsächlich lässt sich das Underpricing als Prognose für die Primärmarktaktivität einsetzen. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 4 anhand des Underpricing-Sentiment dargestellt – der Durchschnitt des Underpricing aller IPOs der vergangenen 18 Monate mit einer zeitabhängigen Gewichtung. Aufgrund der eher geringen Zahl von IPOs sollte diese Größe allerdings nicht überinterpretiert werden.
Ende 2009 lag dieses Underpricing-Sentiment bei rund 5 Prozent, Ende 2010 bei 0 Prozent. Mit den jüngsten IPOs ist es auf minus 3 Prozent gesunken. Bei den im Berichtszeitraum durchgeführten sechs IPOs war das Underpricing – gemessen als Abstand zwischen erstem Börsenkurs und Mitte der Preisbildungsspanne – lediglich in einem Fall positiv.
Zwar muss man in Erwägung ziehen, dass es auf den Primärmärkten möglicherweise zu Veränderungen in den Preisfindungsprozessen gekommen ist, weshalb es einen langfristig rückläufigen Trend im Underpricing geben könnte, dennoch spricht dieses Signal aufgrund der historischen Erfahrungen gegen eine Belebung der IPO-Aktivität in den kommenden Monaten.
Abbildung 4: Underpricing-Sentiment und Anzahl IPOs
Blaue Linie: Underpricing-Sentiment; Schwarze Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
… ebenso wie das IPO-Klima
Die Stimmung am Primärmarkt wird mit Hilfe einer Befragung von
Entscheidungsträgern bei Banken, Emittenten und Investoren von der
Deutschen Börse erhoben. Die Ergebnisse dieser Befragung werden in einem
Indexwert, dem so genannten IPO-Klima zusammengefasst. Der historische
Verlauf dieses IPO-Klimas ist in Abbildung 5 dargestellt. Wie man sehen
kann, spiegeln diese subjektiven Einschätzungen der Entscheidungsträger
die tatsächliche Entwicklung am Primärkmarkt gut wieder. Zwischen März 2009 und Dezember 2010 gab es einen kontinuierlichen Aufwärtstrend, in den vergangenen beiden beiden Quartalen jedoch einen Rückgang.
Die Dämpfung des IPO-Klimas im Berichtszeitraum ist mit 2,76 Punkten der zweitstärkste seit Einführung des Deutsche Börse IPO-Indikators. Vor allem eine starke Skepsis der befragten Marktteilnehmer hinsichtlich der Entwicklung der IPO-Aktivität im 3. Quartal 2011 hat diese Bewegung ausgelöst.
Abbildung 5: IPO-Klima und Anzahl IPOs
Blaue Linie: IPO-Klima; Grüne Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
Niedriges Bewertungsniveau könnte für Kaufanreize sorgen
Für die Aufnahmefähigkeit des Primärmarktes spielt naturgemäß die Bewertung der Unternehmen eine wichtige Rolle. Betrachtet man diesen Zusammenhang allerdings historisch, so lässt sich im Unterschied zu den beiden weiter oben beschriebenen Effekten kein klarer Zusammenhang finden.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass Emittenten sich eine hohe, Investoren eine niedrige Bewertung im Emissionszeitpunkt wünschen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass das durchschnittliche KGV im CDAX mit einem Wert von rund 12 im Juli 2011 deutlich unter dem historischen Durchschnitt von rund 17 lag. Die jüngsten Kursrückgänge an den Märkten sollten dafür gesorgt haben, dass dieser Wert weiter gesunken ist. Zumindest aus Sicht der Investoren könnten neue Aktien im Moment durchaus attraktiv sein. Tatsächlich hat sich in der Befragung dieser Investoren auch gezeigt, dass sich ihre Einschätzung der Attraktivität des Bewertungsniveaus an den Märkten zwischen April und Juli 2011 nicht verändert hat und weiterhin auf einem relativ hohen Niveau verharrt.
Abbildung 6: Anzahl IPOs und durchschnittliches KGV im CDAX
Blaue Linie: CDAX KGV, Rote Balken: Anzahl IPOs (gleitender 3-Monatsdurchschnitt)
© 19. August 2011 / Christoph Kaserer, TU München