Roth: „Der Kaiser hat keine Kleider an“


Roth

28. April 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Griechenland verspielte das Vertrauen der Anleger, als heraus kam, dass man jahrelang die Öffentlichkeit mit geschönten Statistiken hintergangen hatte. Seit dem bezieht das Land bis 2012 aus Brüssel das nötige Kleingeld. Insgesamt werden es 110 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungsschirm (EFSF). Doch die Kredite sind an Bedingungen geknüpft, die Griechenland in eine tiefe Rezession geführt haben. Und nun steckt Griechenland in einem Dilemma, denn es erstickt an den aufgezwungenen Sparmaßnahmen des IWF. 2010 nahmen die Südeuropäer anstatt 9,4 Prozent nun doch 10,5 Prozent neue Schulden auf. Und dieses Jahr reißt man ebenfalls die Latte. Der Grund dafür sind einbrechende Steuereinnahmen. Die Einnahmen sinken schlicht schneller, als man zu sparen in der Lage ist.

Alle Industriestaaten der Welt haben in den letzten zwei Jahren Bankenrettungsprogramme verabschiedet und Konjunkturpakete in Milliarden Höhe geschnürt, um die Wirtschaft und die Finanzmärkte zu stützen. Dadurch verschuldeten sich die OECD-Staaten aber nochmals dramatisch. Aber der wirtschaftliche Erfolg rechtfertigt diese Maßnahmen zumindest teilweise. Doch die Griechen mussten gezwungenermaßen in die Krise sparen. Die vom IWF vorgegebenen „Strukturmaßnahmen“, Kürzung der Staatsausgaben etwa durch Streichung von Sozialleistungen und Subventionen, Steuererhöhungen und die Privatisierung von Staatsbesitz – das Tafelsilber muss verkauft werden – sollten der Stabilisierung des Staatshaushalts dienen.

Die Effizienz dieser isolierten Maßnahmen ist umstritten, da sie in der Regel nur in Kombination mit einer Abwertung der Währung funktionieren. Siehe am Beispiel Argentiniens. Das ist im Falle Griechenlands „noch“ nicht möglich. Ergo wird das Land sich weiter kaputt sparen und Löhne einfrieren bis es an der Wand steht. Die Umschuldung und die damit „de facto“ Pleite ist nicht alternativlos, aber wohl bald unvermeidbar. Besonders unter dem Aspekt, dass niemand wirklich etwas am gegenwärtigen Kurs ändern will.

Die Staatspleite Griechenlands wäre dabei keine Ausnahme von der Regel, sondern eher die Regel. In den letzten 200 Jahren gingen weltweit bereits 273 Staaten Pleite. Darunter keinesfalls nur Bananenrepubliken, wie man vermuten könnte. Insgesamt schaffte es Spanien alleine achtmal, Griechenland fünfmal und Deutschland immerhin schon zweimal, die Schulden nicht zurückzuzahlen. Zuletzt traf es Argentinien 2002 und Russland 1998. In der Regel verloren dabei die Gläubiger deutlich mehr als 40 Prozent ihres Kapitals.

Apropos Kapital. Im Fall von Griechenland wird interessant werden, wer das Geld für die Umschuldung eigentlich bezahlen muss. Die Banken (Altgläubiger) oder die EU (Neugläubiger) aus Steuergeldern? Das wird wesentlich vom Zeitpunkt der Umschuldung abhängen. Denn was momentan geschieht, ist eine Art Transformation der Gläubiger. Altgläubiger werden –mit Fälligkeit ihrer Anleihen – mit den Mitteln der EU ausgezahlt. Ergo je länger Griechenland mit der Umschuldung wartet, desto mehr schulden die Griechen ihren Nachbarn. Der Anteil, den die Banken im Falle einer Umschuldung tragen müssten, nimmt also mit der Zeit ab. Offiziell will ja nun keine Regierung Banken mehr helfen, aus Furcht vor dem Steuerzahler. Aber inoffiziell kommt es den Euroland Regierungen vielleicht sogar gelegen, wenn Griechenland noch etwas ausharrt. Dann muss man keine Banken mehr retten und der Steuerzahler wird direkt zur Kasse gebeten. Von den 328 Milliarden Euro Schulden die Griechenland derzeit hat, sollen bereits geschätzte 140 Milliarden Euro im Besitz der EZB liegen sollen. Denn diese kauft seit Monaten die „Ouzo-Anleihen“ den Banken ab. Sollten die Griechen umschulden, dann müsste unter Umständen auch Deutschland mit einer Nachzahlung bei der EZB rechnen. Denn die Eigentümer der EZB haften direkt für etwaige Unterdeckungen der Europäischen Notenbank in Frankfurt.

Weitere mögliche Nebeneffekte einer Umschuldung Griechenlands könnten zum einen ein Wiederaufflammen des Misstrauens unter den Banken sein, was dramatische Effekte im Interbankenhandel nach sich ziehen würde. Zum anderen könnte eine Pleite einen Dominoeffekt auf Länder wie Portugal und Irland haben und ihnen den Weg zurück an die Kapitalmärkte verbauen. Wenn also bereits die Umschuldung eines relativ kleinen Landes wie Griechenland derartige Probleme verursacht, wie würde es werden, wenn Portugal und Irland oder gar Spanien umschulden müssten? Wer soll deren Schulden bezahlen? Die Banken, Privatanleger oder die EU? Und wer sollte dann für die Schulden der USA die Rechnung begleichen, wenn diese nicht mehr zahlungsfähig wären? Gar nicht auszudenken, wenn ein Staat mit einer Verschuldung von bald 15 Billionen US-Dollar ausfällt. Die Staatspleite ist die Regel und nicht die Ausnahme. Daran sollten sie denken, wenn sie ihr Geld zukünftig anlegen wollen. Der Kaiser hat keine Kleider an.

© 28. April 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.