Roth
12. Mai 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Allen Unkenrufen zum Trotz steigen die Aktien immer weiter. Trotz kleinerer Korrekturen halten sich die Börsen stabil auf hohem Niveau. Der DAX konnte diese Woche die Marke von 7.500 Punkten zurück erobern und verharrt damit in der Nähe vom Jahreshoch. Das ist der höchste Stand seit 2008. Für viele Menschen ist das völlig unverständlich, da es doch so viele bedrohliche Nachrichten gibt. Verschuldungskrise, steigende Inflation, hoher Ölpreis. Dabei kann man die Börse mit der Natur vergleichen, in der manche Blume ihre Schönheit erst kurz vor dem verwelken voll entfaltet. Ähnlich ist es auch mit der Börse. Das Allzeithoch von 8.151 Punkten ist zunächst das Ziel. Und noch gibt es gute Gründe für den Run auf Risikoanlage-Klassen wie Aktien und Rohstoffe.
1. Niedrige Zinsen
Das Zinsniveau ist, trotz einem zaghaften Trendwechsel in Euroland, auf einem historisch niedrigen Niveau. Kredite gibt´s fast umsonst. Besonders Banken, Versicherungen und Hedge Fonds haben fast unbegrenzten Zugang zur Quelle und nutzen diese Chance kräftig. Was Profis vormachen, machen Kleinanleger zeitversetzt nach. Die Renditejagd treibt immer mehr Privatanleger in Risikoanlageklassen wie Rohstoffe und Aktien. Und die Hausse nährt die Hausse. Steigende Kurse wecken Begehrlichkeiten und fördern weitere Investments. Statistiken zeigen, dass immer mehr Geld in die Aktienmärkte fließt.
Ein niedriges Zinsniveau mit steigender Tendenz ist normalerweise Gift für die Rentenmärkte. Doch kurzfristig profitieren auch noch die Rentenmärkte von den Unsicherheiten im Weltfinanzsystem. Dabei spielt das „Bäumchen wechsele dich“ der Anleger zwischen Euro und Dollar eine wesentliche Rolle. Man könnte es fast Investment-Hopping nennen, wenn man sieht, wie schnell derzeit die Kapitalströme ihre Richtung ändern. Doch auf lange Sicht werden sich beim Anleger die besseren Renditechancen in den Aktienmärkten – bei steigendem Zinsniveau – durchsetzen. Die Kapitalströme werden die Risikoklassen in Europa mit frischem Geld versorgen. Auch in den USA versorgt die Notenbank – zusätzlich mit dem Aufkauf von US-Staatsanleihen – die Finanzmärkte mit billigem Geld und sorgt dabei allerdings auch für Inflationsschübe in den Schwellenländern wie China und Brasilien. Auch in den OECD-Staaten kommen die Maßnahmen der Fed direkt oder indirekt den Finanzmärkten zu Gute und spenden dort Liquidität. Das sorgt für steigende Kurse.
2. Rekordgewinne
Die deutschen Unternehmen verdienen soviel Geld wie noch nie. Aufgrund der Kostensparprogramme, die man innerhalb der Finanz- und Wirtschaftskrise aufgelegt hat, sind die westlichen Unternehmen rank und schlank und bezüglich ihrer Kostenstellen mehr als wettbewerbsfähig. Brancheninterne Konsolidierungen und Fusionen sind weitere Faktoren die nun den Unternehmen und damit den Börsen Flügeln verleihen. Die starke Erholung der Weltökonomie – mit viel billigem Geld und hoher Staatsverschuldung erkauft – lässt die Unternehmenskassen klingen und die Börsen bis auf weiteres jubeln.
3. Ölpreis und Inflation
Das ist derzeit alles noch nicht so schlimm. Der Ölpreisanstieg in US-Dollar wird gerade in Euroland von der Eurostärke teilweise abgefangen. Auch war der Ölpreis aufgrund eines befürchteten politischen Flächenbrands in Arabien zu Beginn des Jahres extrem angestiegen und wird sich zumindest zwischenzeitlich auch wieder beruhigen.
Dagegen sind die Inflationsängste der Anleger mittelfristig absolut berechtigt, aber kurzfristig sollten sich Anleger noch nicht in Panik versetzen lassen. Die Rohstoffpreise, die für die derzeitigen Preissteigerungen verantwortlich sind, werden aktuell von der Eurostärke teilweise abgefedert. Auch werden weitere Handelseinschränkungen der Terminbörsen – wie die Anhebung von Sicherheitsmargins – zu einer Begrenzung der Rohstoffpreise führen.
Was die Inflation angeht, sind wir erst am Beginn einer verstärkten Preissteigerung. Aktuell liegen wir – wenn man den offiziellen Statistiken vertrauen mag – bei knapp 2,4 Prozent Inflation in Euroland. Im Allgemeinen gelten Aktien bis 4 Prozent Preissteigerung als Inflationsschutz. Also kaufen sich Anleger mit dem Erwerb von Aktien zurzeit auch eine Versicherung gegen steigende Preise. Erst bei einer deutlichen Preissteigerung leiden auch die Aktienmärkte unter dem Entzug von Kapital, da die Zinsen dann steigen.
4. Alternativlosigkeit
Die Unsicherheiten, die unter anderem durch die Verschuldungskrise verursacht werden, sorgen momentan für abrupte Richtungsänderungen der internationalen Kapitalströme. Galten US-Staatsanleihen kurz nach der Finanzkrise als einzig sichere Geldanlage, so ist mit der S&P-Herabstufung des Ausblicks für die USA nichts mehr wie es war. Anleger flüchten aus den US-Treasuries und aus dem US-Dollar in den Euro.
Eurobonds profitieren von den Geldströmen genauso wie die Aktienbörsen. Der Rest des Kapitals fließt in die kleineren Edelmetall- und Rohstoffbörsen. Die Fed stabilisiert mit niedrigen Zinsen und dem großen Aufkaufprogramm ihre Wirtschaft und die Finanzmärkte und konserviert damit ein fruchtbares Börsenumfeld. Die bereits erkennbare Renditeschwäche der Bondmärkte, bei eher steigenden Zinsperspektiven, lässt Anlegern kaum eine andere Wahl als ihr Geld in Risiko zu investieren. Aktien sind dabei die erste Wahl. Dann folgen Rohstoffe.
Bezogen auf Inflationsschutz, Renditeattraktivität und Marktvolumen sind Aktien kurz- und mittelfristig alternativlos. Deshalb steht uns demnächst auch das Allzeithoch im DAX bei 8.151 Punkten ins Haus. Doch die Geister, die ich rief, werden ich nicht mehr los. Das Hoch ist nur auf Sand gebaut. Unsere schöne Börsenblume steuert auf ihre ihrer Blütezeit zu. Solange die Zinsen niedrig bleiben, hält diese an. Doch früher oder später steigen Zinsen auch wieder und jede Blume verwelkt. Unsere Hausse steht bald im Zenit und was dann folgt, wird für uns alle wenig erfreulich sein.
© 12. Mai 2011/Oliver Roth
* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.
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