Roth: Am Anfang der Nahrungskette

roth+oliver+120x125.jpg
Roth

27. September 2012. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Wenn Sie ein Auto für 30.000 Euro kaufen und vier Monate später ist es nur noch die Hälfte wert, sind die Chancen dass sie übervorteilt wurden beträchtlich. Facebook war zum Börsenstart im Mai noch mit 80 Milliarden US-Dollar bewertet. Knapp 4 Monate später haben sich der Kurs der Aktie und damit die Bewunderung halbiert. Tendenz fallend. Wie konnte es zu solch einer gigantischen Fehleinschätzung und Blamage kommen?

Schuld ist das System. An einem IPO verdienen viele Interessengruppen. Besonders bei solch einem „dicken Fisch“ wie dem weltbekannten Unternehmen aus Kalifornien. Es werden Provisionen und Gewinne in Milliardenhöhe von Firmengründern, Managern, Bankern, Investoren, Brokern, Börsenbetreibern, Medienkonzernen, PR-Beratern, Marketing Agenturen usw. eingestrichen. Alle profitieren und haben ein großes Eigeninteresse an dem Börsengang. Hauptsächlich wird bis zum Tag der Erstnotiz an der Börse Kasse gemacht. Und wer zahlt letztlich? Die Anleger, die am Anfang der Nahrungskette stehen. Viele Kleinanleger, die von den Bedingungen und Umständen der Platzierung nur wenig wissen und sich auf die Informationen stützen, die sie mundgerecht serviert bekommen. Für die dicken Fische gilt: je höher der Börsenwert beim Start, desto höher die Profite. Im Falle von Facebook sind zu viele Beteiligte einer krassen Fehleinschätzung durch Profitgier unterlegen, die eine gigantische Übertreibung verursachte. Das Unternehmen – das weiterhin viel Potential hat – wurde mit einer riesigen Erwartungshypothek an die Börse gebracht, unter deren Last es momentan massiv leidet. Wahrscheinlich ist die Aktie immer noch überbewertet. Das ist nichts Neues.

Neu ist aber, dass das US Wirtschaftsmagazin Barron´s jetzt das generelle Geschäftsmodell mit den überlebenswichtigen Werbeeinnahmen des Sozialen Netzwerkbetreibers in Frage stellt. Auf Smart-Phones könnte weniger Werbung platziert werden als auf PCs. Damit läge im Werbegeschäft deutlich weniger Steigerungspotenzial als angenommen. Gab es im Mai diese Technologien noch nicht? Weshalb werden erst jetzt diese Zweifel öffentlich gemacht oder zur Kenntnis genommen? Gab es die Zweifel zuvor nicht? Doch! Zweifler die vor dem Börsenstart das Unternehmen Facebook als zu hoch bewertet ansahen, gab es zur Genüge. Die angeblich 900 Millionen Nutzer von Facebook wurden genauso angezweifelt wie das Potenzial des Geschäftsmodells, das hauptsächlich auf Werbeeinnahmen basiert. Weshalb konnten dennoch so hohe Erwartungen geweckt werden? Gegen eine derartig mächtige Interessengruppe mit ihrer gigantischen PR-Maschinerie hat man am Anfang der Nahrungskette immer das Nachsehen. Fressen oder gefressen werden. Kleine Fische halten sich da am besten raus.  

© 27. September 2012/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.