Roth: "Auferstehen aus Ruinen"

Roth
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17. März 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Als die Sonnengöttin Arinna die Welt erschaffen hatte und über ihr Angesicht wandelte, war dies noch kalt und leer. So beschloss sie Leben zu erschaffen, an dem sich ihr Auge erfreuen konnte. Als erstes ließ sie die Pflanzen entstehen, dann die Tiere und Vögel. Doch schon bald musste sie feststellen, dass es zu kalt und zu dunkel für ihre Geschöpfe war. Und sie ging daran der Welt Licht zu schenken, indem sie mit ihrem flammenden Schwert einen großen dunklen Stern am Firmament entzündete. Dabei fielen schwelende Funken herab und entzündeten das Nest des Urvogels im Garten der Göttin. Mit einem gewaltigen Feuerschlag ging sein Nest in Flammen auf und verbrannte seinen goldgefiederten Körper. Doch aus der Asche erhob sich strahlend jung und glänzend der Vogel des Paradieses, neu geboren aus den lodernden Himmelsflammen. Das Feuer hatte nur seine äußere Hülle verbrannt, und aus der Asche erhob sich der wiedergeborene Phönix. Aus den Flammen und der Asche steigt der Phönix erneut empor, strahlend schön und jung.

Die Lage

Über zwanzig Jahre lang steckte Japan in einer Deflationsspirale. Nach einer Phase von zunächst starkem Wachstum durch die „Bubble Economy“ und dem Platzen der Spekulationsblase zu Beginn der Neunzigerjahre, kam Japan nicht mehr von der Stelle. Die Krise im Aktien- und Immobilienmarkt sorgte für Tristesse. Ohne die versäumte Strukturreform im Bankenwesen wurde die nötige Konsolidierung im Finanzsektor unterbunden. Der Bankensektor krankte seitdem an Altkrediten und fuhr folglich die Neuvergabe von Krediten zurück. Ohne ausreichende Kreditversorgung sackte die Industrieproduktion Japans dramatisch ab und stabilisierte sich erst wieder zu Beginn des neuen Jahrtausends.

Aufgrund der sinkenden Realeinkommen sackte auch die ehemals so hohe Sparquote der privaten Haushalte – von 20 Prozent auf 2,2 Prozent im Jahre 2008 – ab. Die Arbeitslosigkeit stieg. Staatliche Konjunkturpakete verloren ihre beabsichtigte Wirkung und die öffentliche Verschuldung stieg auf 200 Prozent zum BIP.

Und nun der externe Schock. Die Katastrophe. Der GAU. Die ganze Welt schaut erschüttert nach Japan. Noch ist das Ende der atomaren Krise nicht absehbar. Doch was kommt nach der Katastrophe? Die Voraussetzungen dafür, dass Japan sich schneller wieder erholt als viele erwarten, sind vorhanden.

Die richtige Mentalität und die nötige Kapitalausstattung können dabei helfen. Japaner sind bekannt für ihre Disziplin, ihr Durchhaltevermögen und für den großen Fleiß. Diese positiven Eigenschaften der Japaner werden in der aktuellen Krise deutlich erkennbar und lassen den raschen Wiederaufbau möglich erscheinen. Genügend Kapital ist auch vorhanden, denn Japan ist immer noch eines der reichsten Länder der Welt. Es steht in der Rangliste mit über 1 Billion US-Dollar Währungsreserven auf Platz zwei hinter China.

Basierend auf der starken Exportindustrie Nippons erzielt die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt seit Jahrzehnten Handelsbilanzüberschüsse (alleine 190 Milliarden Yen im Januar). Durch den starken Warenexport generiert Japan aber auch Kapitalexporte ins Ausland. Das Kapital wird im Ausland dann – über die Zwischenstation Finanzmärkte – in Infrastrukturmaßnahmen investiert. Dadurch entstehen natürlich Abhängigkeiten. So ist Japan – nach China – der zweitgrößte Gläubiger der USA mit 885 Milliarden US-Dollar (Januar 2011). Wie wird die USA ihre Schulden zukünftig finanzieren wollen, wenn neben China (größter US Gläubiger) auch Japan als Geldgeber mittelfristig ausfällt? Japan wird in Zukunft vermehrt Kapital zum Wiederaufbau des eigenen Landes verwenden müssen. Dreistellige Milliardenbeträge werden dafür in den nächsten Jahren benötigt.

Auswirkungen

Ein geringerer Kapitalexport Japans wird folglich Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Doch in welchem Ausmaß? Sicher ist, dass ohne die japanischen Geldströme wichtige Impulse für die Weltökonomie fehlen würden. Aber Japans Wirtschaft braucht einen austarierten Wechselkurs, um im Exportmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Kapitalrückführung sind währungstechnisch enge Grenzen gesetzt, da Japan in der derzeitigen Lage Wachstum und Stabilität zum Wiederaufbau des geschundenen Landes benötigt. Japan muss und wird große Energien freisetzen, die bisher vom deflationären Strudel gebremst wurden. Die starke Exportwirtschaft wird Japan als Rückgrat dienen und auf einen erfolgreichen Weg zurück bringen.

Die kurzfristigen Auswirkungen auf die Weltökonomie – im Falle eines schnellen Endes der atomaren Bedrohung – sind überschaubar. Die Lieferausfälle Japans werden von anderen Staaten kompensiert. Besonders im Auto- und Maschinenbau könnte Deutschland diese Funktion auf dem Weltmarkt übernehmen. Und im Bereich der Konsumnachfrage spielt Japan, trotz der 128 Millionen Einwohner, eine kleinere Rolle im Weltmarkt.

Mit Prognosen über die langfristigen Auswirkungen möglicher Veränderungen der internationalen Kapitalströme muss man jedoch noch sehr vorsichtig sein. Noch ist die Lage in Japan zu unübersichtlich und zu unklar. Klar ist allerdings, dass Japan nur bedingt Kapital zur Finanzierung des Wiederaufbau zurückführen kann. Als Finanzierungsalternative bleibt der Regierung in Tokio die Stimulierung der Wirtschaft mit staatlichen Konjunkturpaketen. Von Regierungsmitgliedern wurde bereits ein „Marshall-Plan“ für Japan gefordert. Dieser könnte Japan nicht nur als Grundlage des Wiederaufbaus dienen, sondern er könnte sogar darüber hinaus das ganze Land aus der Deflationsspirale führen.

Märkte

Die Auswirkungen der Katastrophe werden zunächst – trotz der starken Schwankungen der vergangenen Tage – an den Finanzmärkten überschaubar bleiben. Die Märkte werden sich langsam wieder beruhigen. Dann wird man sich auch wieder anderen Themen zuwenden. Beispielsweise schaut man dann auf die Unruhen in Libyen und Bahrain. Der Ölpreis wird dann wieder im Fokus stehen. Die Verschuldungskrise wird auch wieder die Finanzmärkte beschäftigen. Die Aktienmärkte werden – so die atomare Bedrohung vorüber ist – die Korrektur beenden und frisches Geld strömt dann wieder in die Risiko-Anlageklassen zurück. Noch ist in diesem Jahr das Allzeithoch im DAX das Ziel der Börsianer. Die Welt dreht sich weiter.

Aber für tausende Japaner nicht mehr. Noch ist die Katastrophe in vollem Gange und das Ausmaß der Zerstörung ist nur zu erahnen. Nach Erdbeben und Tsunami beherrscht nun die atomare Bedrohung die japanische Bevölkerung und lähmt das ganze Land zur Schockstarre. Tausende von Menschen sind bereits der Katastrophe zum Opfer gefallen und es ist offen, wie viele es am Ende werden, denn Tausende werden noch vermisst. Hunderttausende sind obdachlos und müssen mit den Resten ihre Habe in Auffanglagern verharren ohne zu wissen, wie es weiter gehen soll. Doch trotz der erschütternden Bilder wird es weitergehen. Die Kosten für den Wiederaufbau werden immens sein. Aber die Japaner werden es schaffen. Das Feuer hatte nur seine äußere Hülle verbrannt, und aus der Asche erhob sich der wiedergeborene Phönix.

© 17. März 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Das Unternehmen ist eine der größten Wertpapierhandelsbanken in Deutschland. Roth arbeitet seit 1990 an der Frankfurter Wertpapierbörse und ist seit 1996 bei der Close Brothers Seydler Bank AG.

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