Roth: Die Infektion schreitet fort


Roth

10. November 2011. FRANKFURT (Boerse Frankfurt). Die Beschlüsse des EU-Gipfels von Brüssel sorgten nur kurz für Euphorie an den Börsen. Wenige Tage später ließ Ministerpräsident Papandreou mit seiner Referendumsidee schon wieder die Rettungsblase platzen. Seither steht Griechenland auf verlorenem Posten und die Infektion des Misstrauens breitet sich weiter aus. Die Fieberkurve von spanischen Anleihen steigt langsam, aber stetig. Frankreichs Anleiherenditen klettern auch unaufhörlich nach oben. Italien steht aktuell besonders im Fokus des Misstrauens der Anleger und wird angezählt.

Italienische Staatsanleihen verloren zuletzt dramatisch an Wert. Die Renditen für zehnjährige Anleihen liegen mittlerweile bei 7,5 Prozent. Diese finanzielle Belastung kann das Land nicht lange durchhalten. Darum versucht man jetzt in Rom, hektisch die ausstehenden Strukturreformen in einem großen Rundumschlag bis Samstag durch das Parlament zu peitschen, um damit das Vertrauen der Anleger wieder zurückzugewinnen. Die Lage Italiens ist zwar grundsätzlich nicht mit dem der anderen Patienten zu vergleichen, denn es ist ein reiches Land und die drittgrößte Wirtschaftsmacht in der EU. Ein beherztes Reformieren der verkrusteten Strukturen könnte das Land vielleicht noch retten. Aber das Vertrauen ist wie eine zarte Pflanze. Einmal zerstört ist es nur schwer wieder aufzubauen. Und wer glaubt schon noch daran, dass die Italiener Wort halten? Erst vor wenigen Monaten hatte Ministerpräsident Berlusconi ähnliches versprochen und dann gebrochen.

Das Vertrauen der internationalen Anlegerschaft zur europäischen Politik hat massiv gelitten. Zu oft wurde versprochen und gebrochen. Und wahrscheinlich reicht nur sparen schon nicht mehr aus, die Anleger zurückzuholen. Denn man darf nicht vergessen, dass durch die Regulierung und Rekapitalisierung des Bankensektors zukünftig auch viele potentielle Anleihenabnehmer wegfallen. Von wem will man dann das Geld ausleihen? Sollte Italien nicht zeitnah die überfälligen Reformen verabschieden, die man jahrelang auf die lange Bank schob, dann droht der Eurozone bereits jetzt das Auseinanderbrechen. Ob sie am Athener oder römischen Virus stirbt, bleibt dann gleichgültig. Es wäre auch mittlerweile fast naiv, zu glauben, dass in einer Staatengemeinschaft mit tausenden von verschiedensten Interessengruppen, sich 17 Regierungen auf die richtige Vorgehensweise einigen könnten. Das Fieber in der Eurozone steigt also wohl weiter. Welche Kuren bleiben dann noch?

Sollte die EU es nicht schaffen, das Vertrauensverhältnis zu den Anlegern schnell wiederherzustellen, dann bleibt nur noch eine einzige Institution, die das Fiasko verhindern könnte. Die EZB müsste massiv in die Entwicklung eingreifen und die Geldschleusen öffnen. Denn selbst wenn die Politik effiziente Maßnahmen ergreifen würde, fallen mit den Banken die Hauptabnehmer für Staatsanleihen weg. Ergo müsste die EZB wohl oder übel als Abnehmer für Staatsanleihen zur Verfügung stehen und damit die Risikoaufschläge senken und gleichzeitig Geld in den Kreislauf pumpen. Das tut sie zwar bereits, aber nur in begrenztem Umfang.

Ein quantitatives Lockerungsprogramm nach US-Vorbild würde ein deutlich größeres Volumen für Aufkäufe von Staatsanleihen voraussetzen. Es wäre gleichzeitig eine eindeutige Änderung der EZB-Richtlinien. Doch alles sieht danach aus, dass es ohne nicht gehen wird. Dabei ist mit großen Widerständen zu rechnen, es könnte allerdings alleine die bloße Ankündigung eines Aufkaufprogramms der EZB für Veränderungen ausreichen. Am Ende müsste sie vielleicht nicht mal weitere Anleihen kaufen.

Ein Beispiel hier für ist die Schweizer National Bank, die erst kürzlich den Franken mit blanker Rhetorik unter die Marke von 1,22 zum Euro trieb und dabei keine größeren Beträge ins Buch nehmen musste. Wenn es hart auf hart käme, hätte die EZB aber noch Luft genug, da sie im Gegensatz zur Fed und zur Bank of England ihre Bilanz bisher „nur“ um 40 Prozent vergrößern hat. Die andere beiden verdreifachten bislang ihre Bilanzen seit dem Ausbruch der Wirtschaft- und Finanzkrise 2008. Die Deflationsgefahr ist deutlich größer als die Inflationsgefahr zurzeit. Wird nichts von dem getan, dann ist die letzte Option das Ende des Euro. Diese wäre allerdings mit unabsehbaren Risiken für das Wirtschafts- und Finanzsystem verbunden.

© 10. November 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de

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