Roth: "Hot Money"– Die Kapitalströme


Roth

15. April 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Der Einfluss der internationalen Kapitalströme auf die Weltwirtschaft ist mittlerweile enorm und nimmt ständig zu. Besonders der Mittelzufluss in Schwellenländern steigt seit Jahren drastisch. Für 2011 rechnet der IWF mit einem Nettozufluss von 960 Milliarden US-Dollar und 2012 mit über einer Billion US-Dollar. Das Kapital verhält sich dabei wie eine Biene. Es fliegt von Blume zu Blume auf der Suche nach dem süßesten Nektar.

Es ist unbestritten, das mit der Liberalisierung der Weltökonomie viele positive Effekte für die Weltwirtschaft verbunden sind. Die zunehmende Abhängigkeit von diesen Geldströmen, birgt jedoch auch große Risiken für die Stabilität der Weltökonomie und der Finanzmärkte. Wie wirken sich die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse auf die Weltwirtschaft aus und wir kann man sich vor den Gefahren schützen?

Der internationale Kapitalstrom ist Geld, das zu Investitionszwecken grenzüberschreitend transferiert wird. Länder mit einer hohen Investitionsrendite infolge hoher Zinsen, hohem Wirtschaftswachstum oder florierender Finanzmärkte, ziehen vermehrt ausländisches Kapital an. Dabei unterscheidet man zwischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Bei internationalen Direktinvestitionen investiert man zum Zwecke der Produktion im Ausland. Der Kapitalgeber kauft oder baut ein Unternehmen und transferiert dabei nicht nur Kapital, sondern auch Wissen und Technologie in die Empfängerländer. Im Gegensatz zur Portfolioinvestition, bei der nur Kapital in lukrative Finanzmärkte transferiert wird, um dort zu investieren. Die Empfängerländer haben dadurch einen positiven Kapitalfluss.

Wenn der Aktienmarkt eines Landes sich gut entwickelt und hohe Zinsen geboten werden, dann werden ausländische Quellen davon vermehrt angezogen und das Kapital in dem jeweiligen Land investiert. Aber besonders kleinere Länder – mit ungenügenden Finanzmarktstrukturen – geraten in Gefahr abhängig vom Auslandskapital zu werden. Es sorgt zwar im ersten Schritt für „blühende Landschaften“, aber im Falle einer Krise wird das Geld dann plötzlich wieder abgezogen. Kleinere Volkswirtschaften trifft eine Finanzkrise – wie 2008 – deshalb doppelt hart. Es ist wie mit Ebbe und Flut. Bei Flut presst das Geld in Länder mit hohen Zinsen, starkem Wirtschaftswachstum und attraktiven Börsen. Es werden Kredite verstärkt nachgefragt und auch vergeben. Im Falle einer externen Krise wie die Finanzkrise 2008 oder einer Verschlechterung der volkswirtschaftlichen Rahmendaten, z.B. Rezession, Unruhen erfolgt dann übergangslos die Ebbe. Plötzlich und konsequent ziehen ausländische Investoren das Geld wieder ab.

Das Ergebnis: Die Finanzmärkte dieser Länder kollabieren, die Immobilienpreise stürzen ab und die Banken bleiben auf ihren „faulen Krediten“ sitzen, weil die Schuldner nicht mehr zahlen können. Kredite werden nicht mehr gewährt und Unternehmenspleiten folgen. Diese Effekte verstärken sich mit zunehmender Abhängigkeit vom Fremdkapital. Der plötzliche Zufluss oder Abfluss von gigantischen Geldmengen stellt eine der größten Gefahren für die Weltökonomie da. Abhängigkeiten werden geschaffen und wieder zerstört. Wie bei einem Drogenabhängigen, der plötzlich auf Entzug ist.

Die großen Gewinner sind derzeit die Kapitalmärkte, die von den finanzpolitischen Rahmendaten profitieren. Ein niedriges Zinsniveau der OECD-Staaten und diverse staatliche Konjunkturprogramme haben die internationalen Kapitalströme zu einer wahren Geldflut heranwachsen lassen. Auch die US-Notenbank ist besonders fleißig. Das große Anleihen-Aufkaufprogramm mit 600 Milliarden US-Dollar soll erst im Juni 2011 auslaufen. Bis dahin bleibt der Dollar künstlich verwässert und sorgt für einen kräftigen Zustrom von Kapital, in die Volkswirtschaften von Schwellenländern. Die Volkswirtschaften der BRIC-Staaten profitieren ebenfalls von dem Geldsegen aus dem Westen, weil er der ihnen den Aufschwung finanziert. Aber die Flut birgt auch große Risiken für diese Länder wie verminderte Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsaufwertungen, Preisblasenbildungen und entstehende Abhängigkeiten.

Beispiel China: Bereits seit geraumer Zeit wird die Entwicklung in Peking mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Denn besonders billige US-Dollars sorgen seit längerem für drastisch steigende Preise in den Immobilien- und Finanzmärkten. In China bläht sich insbesondere der Immobilienmarkt immer weiter auf. Preissteigerungen in den Metropolen von 10 Prozent bis 15 Prozent im Jahr sind normal. Dieser Hype treibt seltene Blüten. Das es in China den Beruf des „Lichtanknipsers“ in leerstehenden Wohnungen gibt – um sie vermietet aussehen zu lassen – gibt uns einen Hinweis auf die Dimension der Blase. Sollten nun plötzlich große Mengen von Kapital radikal abgezogen werden, würde der Markt kollabieren. Was er, nebenbei bemerkt, vielleicht auch bald tut. Die Quittung der Kapitalflut ist eine, durch den US-Dollar mitverursachte Preisblase und eine rasant ansteigende Inflationsrate. Der Zinserhöhung der chinesischen Notenbank zur Inflationsbekämpfung wirkt sich wie ein helles Licht auf Mücken aus. Weiteres Kapital strömt dadurch nach China. Die Währung müsste eigentlich aufgewertet werden, was aber Peking verhindert. Den anderen BRIC-Staaten geht es im Kern nicht wesentlich anders.
 

Die Möglichkeiten für Schwellen- und Drittweltländer zur Eindämmung eines zu starken Kapitalzuflusses sind jedoch begrenzt. Steuern, Kapitaleinfuhrkontrollen, Ausbau der Finanzmarktstrukturen, Erstellung belastbarer Statistiken zu Analysezwecken sind auf nationaler Ebene nur bedingt effektiv oder wünschenswert. Die Liberalisierung der globalen Finanzmärkte hat sich zu einem wesentlichen Antreiber der Weltökonomie entwickelt. Nur ein internationaler Maßnahmenkatalog könnte Abhilfe schaffen. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen thematisiert der IWF (Internationale Währungsfond) die globalen Risiken, die mit den ansteigenden Geldströmen verbunden sind, wieder verstärkt. 1997 versuchte man, während der Asienkrise- bereits erfolglos einen internationalen Maßnahmenkatalog zu erstellen. Man scheiterte jedoch an den unterschiedlichen nationalen Interessen.

Kürzlich hat der IWF wieder internationale Richtlinien für Kapitalkontrollen vorgeschlagen. Darin werden Kapitalmarktkontrollen erlaubt, sofern gewisse Bedingungen in den jeweiligen Ländern erfüllt sind. Diese Bedingungen sind vorwiegend in dem Ausschöpfen von geld- und fiskalpolitischen Mitteln zu sehen. Die künstliche Begrenzung von Zuflüssen sollten das letzte Mittel für Kapitalnehmer bleiben. Und schon bricht der Streit zwischen Kapitalnehmern und Gebern aus. So wollen sich die Schwellenländer natürlich nicht in ihrem Wirtschaftswachstum beschneiden lassen.

Die Diskussion über geeignete Maßnahmen zur Kontrolle von schwankenden Kapitalströmen, hat erst wieder begonnen. Es ist zu wünschen, dass es bald zu einer Einigung kommt, damit für die nächste Krise geeignetes Werkzeug zur Verfügung steht. „Hot Money“ wird uns sicher in Zukunft noch viel Kopfzerbrechen machen.

© 15. April 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.