Roth: Mit guter Thermik in schwindelnde Höhe


Roth

13. Oktober 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Börsen sind wieder einmal im Aufwind. Trotz Währungskrise, Schuldenkrise und Wirtschaftsdelle. Da verstehe einer die Börsianer. Aber es gibt natürlich gute Gründe für den derzeitigen Auftrieb und auch für ein Ende der guten Thermik. Denn das ist in Sicht.

In der motorlosen Fliegerei wird Thermik genutzt, um Höhe zu gewinnen. Dieser Aufwind entsteht durch starke Sonneneinstrahlung, die die Luft am Boden erwärmt und so dafür sorgt, dass die Luft schnell aufsteigt. Der thermische Aufwind endet, wenn vom Boden keine weitere Warmluft nachströmt. Genauso verhält es sich derzeit an den Börsen.

Die Krisen, die wir durchleben, haben an Größe und Bedrohungspotential historische Ausmaße. Das ganze Wirtschafts- und Finanzsystem steht weiterhin auf der Kippe. Warum das so ist, kann so erklärt werden: Normalerweise sind Krisen in der Wirtschaft begrenzt. Es gibt Konjunkturkrisen, Finanzkrisen – dazu gehören Bankenkrisen – oder auch Staatskrisen. In der Regel kommen nur ein bis zwei zu gleichen Zeit vor, oft dann auch noch örtlich begrenzt. Diesmal trifft es global alle zur gleichen Zeit. Der Bankenkrise von 2007 folgte eine Weltwirtschaftskrise. Da sich die OECD-Staaten mit gepumptem Geld dagegen stemmten, kam dann noch eine Schuldenkrise dazu.

Die Wirtschaft boomte zwar darauf hin für zweieinhalb Jahre, doch der geliehene Wirtschafts-Boom läuft jetzt aus, die Staatsschulden sind weiter auf Rekordständen und das europäische Bankensystem muss schon wieder vom Staat gerettet werden. Die anstehende Entschuldung Griechenlands und die damit verbundene Abschreibungen in den Bilanzen macht dies notwendig.

Und wie reagieren die Finanzmärkte darauf? Seit Juli und der Herabstufung der USA sind die europäischen Märkte deutlich gefallen, weil eine weitere Eskalationstufe in der Schuldenkrise erreicht wurde. Die Eurokrise um ihr Epizentrum Griechenland geht nun in die Finale Runde.

Doch seit Mitte September steigen die Kurse wieder. Weshalb? Weil an sich den Börsen derzeit hauptsächlich kurzfristig orientierte Investoren tummeln. Die sind nur am Morgen interessiert und nicht am Übermorgen. Die mittel- und langfristigorientierten Anleger halten sich derzeit zurück. Einerseits weil sie nicht mehr verkaufen mögen und auf einen Trendwechsel hoffen. Anderseits trauen sie dem Aufwind noch nicht genug, um an die Märkte zurückzukehren. Denn die Stimmung ist nach dem Kursrutsch vom Sommer schlecht. Die Schnäppchenjäger aus dem Kurzfristressort sind aber dabei.

Und zumindest kurzfristig gibt es doch derzeit Grund zur Hoffnung. Es gibt einige gute Nachrichten für die Börsen und ihre Investoren. Die EZB wird bis Jahresende wieder ihre Zinsen senken, denn die Wirtschaft in Europa gerät ins stocken. In der Eurokrise ist gerade ein langersehnter Masterplan im Entstehen. Das Thema Griechenland muss vom Tisch. Griechenland muss umschulden. Die Banken werden unter Führung der EU auf die Umschuldung Griechenlands vorbereitet. Zwangsmaßnahmen zur Rekapitalisierung aufgrund der entstehenden Abschreibungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Eine gemeinsame Wirtschaft- und Finanzpolitik soll Einzug halten und die Euro-Volkswirtschaften synchronisieren.

Der ständige Eurorettungsschirm (ESM) soll laut Kommissionschef Manuel Barroso um ein Jahr vorgezogen werden. Auch eine längst überfällige Erneuerung des EU-Vertrags von Lissabon, mit deutlich verschärften Regeln für die Euromitgliedsländer ist vorgesehen. Ende des Monats wird ein großes EU-Treffen stattfinden. Bis dahin steigt an den Börsen die Hoffnung auf eine umfassende Lösung der Schuldenkrise in Europa. Das ist es, was die Märkte derzeit antreibt.

Die steigende Erwartung der Anleger birgt aber auch ein enormes Enttäuschungspotential. Da die europäischen Politiker in dieser Krise nahezu immer die Märkte enttäuscht haben, sehe ich auch diesmal wenig Grund zu vertrauen. Ein Masterplan ist zwar derzeit in Sicht, aber Manuel Barroso wird kaum alle wesentlichen Punkte im Club der Einstimmigkeit durchsetzen können, die zur nachhaltigen Lösung der Eurokrise notwendig wären. Außerdem birgt die Umschuldung Griechenlands große Risiken, die vom kurzfristig getrieben Investor sicher noch nicht eingepreist sind.

Deshalb steht der kurzfristigen Erholung der Börsen ein böses Erwachen bevor. Bis zum 23. Oktober stehen die Chancen auf einen weiteren Höhenflug an den Börsen gut. Die Thermik bleibt uns bis dahin erhalten. Aber dann wird die Enttäuschung über die Politik ein Nachströmen der Warmluft verhindern und so ein Ende des Aufwindes einleiten. Bereits zwei Wochen später kann Mario Draghi als neuer EZ- Chef dann schon alles wieder gut machen.

© 13. Oktober 2011/Oliver Roth * Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de. Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.