Hüfners Wochenkommentar: "Frau Yellen als Mutter Courage?"

huefner+martin+120x125.jpg
Hüfner

23. Oktober 2015. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Seit nunmehr zweieinhalb Jahren bemüht sich die US-amerika­nische Notenbank, in der Geldpolitik den Krisenmodus zu verlassen und wieder normale Verhältnisse herzustellen. 2013 hat sie das angekündigt. 2014 hat sie die Wertpapier­käufe („Q/E“) in einem langwierigen Verfahren zurückge­führt. In diesem Jahr hätte der dritte Schritt folgen sollen, die Erhöhung der Zinsen. Da stockt es. Die Federal Reser­ve findet nicht den richtigen Zeitpunkt. Sie verschiebt den Termin von Sitzung zu Sitzung. Warum ist die Anhebung der Leitzinsen so schwer?

Leitzinsen USA
Huefner 151023+.JPG
Angaben in Prozent, Quelle: Fed

Wenn man sich die Grafik des Aufs und Abs der Leitzinsen in der Vergangenheit anschaut, könnte man den Eindruck gewinnen, als sei das alles ganz unproblematisch. In regel­mäßigen Abständen gingen die Zinsen nach oben und nach unten. Das ist aber nicht richtig. Zinserhöhungen waren für die Notenbank (nicht nur in den USA) noch nie ein Kinder­spiel. Es gab immer schwierige Entscheidungsprozesse und Verzögerungen. Im Jahr 1992 warf der damalige Präsident Bush der Notenbank vor, sie habe mit einer Zinserhöhung seine Wiederwahl verhindert. Finanzminister haben immer gegen Zinserhöhungen opponiert, damit die Kreditaufnahme des Staates nicht zu teuer wird.

Gemessen an diesen Zeiten befindet sich die Federal Re­serve heute in einer komfortablen Situation. Sicher wird auch auf sie Druck ausgeübt. Er hält sich aber in Grenzen. Der US-Präsident kann nicht wiedergewählt werden. Der

Finanzminister hat die Budgetdefizite stark zurückgeführt und ist daher nicht mehr so zinsabhängig. Die Federal Re­serve könnte sich allenfalls selbst im Wege stehen. Sie hat große Wertpapierbestände und würde bei einer Zinserhö­hung Kursverluste erleiden. Das ginge zu Lasten des Ge­winns. Aber niemand zwingt sie Gewinne zu erwirtschaften.

Eine größere Wirtschaftsabschwächung in den USA als Fol­ge einer Anhebung der Leitzinsen fürchten auch Pessimis­ten nicht. Selbst die am stärksten Betroffenen, die Schwel­len- und Entwicklungsländer, raten der Federal Reserve in­zwischen: „Just do it“. Die Unsicherheit durch das Nichtstun ist für sie schlimmer als eine Zinserhöhung.

Warum macht sie es dann also nicht? Wenn ich es recht se­he, dann weniger aus ökonomischen als aus politisch-insti­tutionellen Erwägungen. Erstens gibt es anders als in frü­heren Zinserhöhungsphasen keine unmittelbaren und dring­lichen Gefahren, die die Notenbank zum Handeln zwingen. Die Preissteigerung ist nach wie vor mäßig. Der Arbeits­markt steht nicht vor einer Überhitzung. Wenn die Noten­bank noch ein oder zwei Monate wartet, passiert keine Ka­tastrophe. Das macht es für die Chefin des geldpolitischen Gremiums schwer, die Mitglieder zusammenzuhalten und sie zum Handeln zu bringen. Es ist ein bisschen so wie mit den Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie werden normalerweise erst dann in Angriff genommen, wenn „die Hütte brennt“ und es gar nicht mehr anders geht. Ich dach­te, die Zentralbanken hätten aus den Fehlern gelernt. Das ist aber offenbar nicht der Fall.

Wo ein unmittelbarer Druck herkommt, ist zweitens von den anomalen Verhältnissen auf den Geld- und Kapitalmärkten. Die Blasen bei Aktien, Renten und anderen Asset-Klassen, die durch die Nullzinsen und die unbegrenzte Liquidität ent­standen sind, können jederzeit platzen. Wer damit nicht rechnet, kann nicht leugnen, dass die Nullzinsen die Sparer belasten. Sie führen zu einer Vernachlässigung der Alters­vorsorge, die in den letzten Jahren so wichtig geworden ist. Sie schwächen das marktwirtschaftliche System, das ohne knappes Geld und Zinsen, die Präferenzen der Gesell­schaft zwischen Zukunft und Gegenwart widerspiegeln, nicht or­dentlich funktionieren kann. Investoren haben keine Krite­rien, welche Projekte langfristig sinnvoll sind und wel­che nicht. Das führt zu Fehlallokationen und letztlich nied­rigerem Wachstum, über das sich in den USA derzeit alle beklagen. Es gibt nur eine Institution, die das alles reparie­ren könnte. Das ist die Notenbank. Und warum tut sie es nicht? Weil sie dafür kein explizites politisches Mandat hat. Sie müsste aus eigener Verantwortung handeln, was natür­lich schwerer ist (was sie in der Krisenbekämpfung freilich häufiger getan hat).

Wenn diese Situation in Zukunft häufiger vorkommen sollte, müsste man sich überlegen, ob man das Mandat der Noten­banken nicht erweitert. Man könnte zum Beispiel festlegen, dass die „unkonventionellen Maßnahmen“ der Geldpolitik, die wir derzeit haben, nur eine begrenzte Zeit dauern dür­fen. Sie werden in Krisen gebraucht, dürfen aber nicht zu Dauereinrichtungen werden.

Drittens und wahrscheinlich das Wichtigste: Eine klare in die Zukunft gerichtete Geldpolitik braucht mutige Frauen und Männer, die sich hinstellen und den richtigen Kurs überzeugend vorgeben.

Die Notenbanker bewiesen in der Krisenbekämpfung außer­ordentliche Führungsqualitäten. Sie avancierten zu den „heimlichen Herrschern“ der Welt. Jetzt plötzlich scheint sie die Courage verlassen zu haben. Das „Federal Open Mar­ket Committee“, das für die geldpolitischen Entscheidungen zuständig ist, fällt auseinander. Das dürfte die Vorsitzende, Janet Yellen, eigentlich nicht zulassen. Hier rächt sich ihr konsensorientierter Stil.

Für den Anleger

An sich sind Leitzinserhöhungen Gift für die Finanzmärkte. Sie führen sowohl bei Aktien als auch bei Renten zu Kurs­verlusten. In den letzten Wochen scheint sich die Einschät­zung jedoch zu drehen. Für die Finanzmärkte wird das Zö­gern der Federal Reserve zunehmend zu einer Belastung. Ich rechne daher damit, dass eine Zinserhöhung – wie auch immer die aktuellen Daten in den USA und der Weltwirt­schaft sind – ein Befreiungsschlag wäre, auf den die Märkte positiv reagieren würden. Sie darf aber nicht zu lange war­ten. Dies umso mehr, als die Notenbank im nächsten Jahr wegen des dann laufenden Präsidentschaftswahlkampfs nur noch begrenzt handlungsfähig ist.

© Deutsche Börse AG, 23. Oktober 2015.

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011).

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.