Hüfners Wochenkommentar: "Hauspreiskrise in den Niederlanden"

huefner+martin+120x125.jpg
Hüfner

5. September 2013. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die herrschende Vorstellung des Euroraums ist falsch. Normalerweise teilen wir die Währungsunion auf in die Problemländer im Süden (inkl. Frankreich) und in das gesunde Zentrum in der Mitte unter anderem mit Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Finn­land. Schauen Sie sich jetzt aber die Grafik an. Dort sieht das ganz anders aus. Das reale Bruttoinlands­produkt hat sich seit dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 von den dort aufgeführten Län­dern in Frankreich am besten entwickelt. Deutschland (und – nicht aufgeführt – Österreich) folgt mit kleinem Abstand. Dann kommt lange, lange nichts. Im unteren Teil der Grafik finden sich erst die Niederlande und
dann Spanien.

Huefner130905.png
Quelle: Eurostat

Der Ausreißer ist also die Niederlande. Sie gehören formell zwar zu den „guten“ Staaten. Ihre Wirtschafts­lage ist aber ausgesprochen schlecht. Seit 2008 sind sie fast ununterbrochen in einer Rezession. Das öffentli­che Defizit betrug im letzten Jahr 4,1 Prozent. Die Staatsver­schul­dung lag bei 71,2 Prozent, also auch über dem Maas­tricht-Kri­terium. Die Preissteigerung bewegt sich mit 2,6 Prozent über dem Zielwert, den die Europäische Zentral­bank vorgibt. Woher kommt das und wie ist es im Hin­blick auf die Europrobleme zu beurteilen?

Entscheidend für die Niederlande sind die Probleme des Häusermarktes. Ganz ähnlich wie in Spanien oder in den Vereinigten Staaten stiegen in den letzten Jahr­zehnten die Häuserpreise stark an. In Holland spielte hier die staatliche Förderung eine große Rolle (steuerli­che Abzugsfähigkeit der Hypothekenzinsen). Hinzu kam, dass die Banken großzügig und ohne große Sicherhei­ten Kredite vergaben. Die privaten Haushalte verschul­deten sich außerordentlich stark. Ihre Verbindlichkeiten in Prozent des verfügbaren Einkommens liegt derzeit bei fast 300 Prozent, verglichen mit „nur“ rund 100 Prozent etwa in Deutschland oder in Frankreich.

2008 platzte die Blase. Seitdem sind die Häuserpreise um über 20 Prozent eingebrochen. Experten rechnen mit einer weiteren Verringerung in den nächsten zwei Jahren in zweistelliger Höhe. Die privaten Haushalte standen vor einem riesigen Schuldenberg, der durch den Wert ihrer Häuser nicht mehr gedeckt war. Sie mussten ihren Kon­sum spürbar einschränken. Die Banken hatten große Bestände an faulen Krediten. Sie waren gezwungen, ihr Neugeschäft zurückzuführen. Der viertgrößte Finanz­dienstleister SNS Reaal musste vom Staat übernommen werden. Die Unternehmen schränkten ihre Investitionen ein, da es an Nachfrage fehlte.

Der Export hätte helfen können. Aber auch er konnte die fehlende Nachfrage nicht ausgleichen, weil die Lohnstückkosten in den vergangenen Jahren erheb­lich gestiegen waren. Das hat die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen geschwächt. Zudem gehen über 50 Prozent der holländischen Ausfuhren in die Länder des Euro­raums, die unter schwachem Wachstum leiden. Zu allem Überfluss mussten in dieser Zeit die öffentlichen Haus­halte ihre Defizite zurückfahren und damit Kaufkraft aus dem Privatsektor abziehen.

Der Vorteil der Niederländer gegenüber Südeuropa ist, dass sie keine Finanzierungsprobleme haben. Von den Rating-Agenturen haben sie die Bestnote AAA. DieZinsen, die sie am Kapitalmarkt zahlen, sind nach wie vor niedrig (10-jährige Staatspapiere 2,40 Prozent).

Mit dem Euro hat das Ganze nichts zu tun. Der Anstieg der Häuserpreise begann schon lange vor der Einfüh­rung der gemeinsamen Währung. Es ist aber klar, dass die Schwierigkeiten in der öffentlichen Diskussion in Holland damit in Verbindung gebracht werden. Es wird gefragt, ob es dem Land nicht ohne den Euro besser gehen wür­de. Hier spielt die rechtskonservative Partei von Geert Wilders eine wichtige Rolle, die für einen Austritt aus dem Euro plädiert.

Vier Lehren daraus für die Eurokrise: Erstens gibt es nicht nur Schwierigkeiten in den südeuropäischen Peri­pherieländern. Auch im so gesunden Norden läuft nicht alles rund. Zweitens gibt es nicht nur Probleme durch eine mangelhafte Stabilitätspolitik, die durch Sparen überwunden werden können. Holland war immer be­kannt dafür, dass es zusammen mit Deutschland für eine konsequente Stabilitätspolitik eintrat. Man darf daher nicht nur auf die Maastricht-Kriterien achten (wie das bei der Beurteilung der Wirtschaftspolitik der Mit­gliedsländer im Europäischen Semester inzwischen auch geschieht). Drittens haben die Niederländer auf­grund ihrer Probleme erheblich größere Schwierigkeiten beim Aufbringen der Hilfsgelder für Südeuropa als bei­spielsweise Deutschland. Das sollte man im Kopf haben, wenn sich die Deutschen über die hohen Lasten der Transfers beklagen.

Viertens schließlich, auch wenn Südeuropa eines Tages wieder im Lot sein wird, sollten wir nicht davon ausge­hen, dass dann im Euro auf Dauer alles in Butter ist. In einer Währungsunion wird es – wie in jedem Staat – immer wieder und aus ganz unterschiedlichen Gründen Probleme in einzelnen Regionen geben. Das gehört zur Wirklichkeit des Lebens. Sie sollten nicht alle der Wäh­rung angelastet werden. Sie sind auch nicht alle zu lö­sen, indem man die gemeinsame Währung abschafft oder ein Land ausscheidet. Ein bisschen mehr Prag­matismus hinsichtlich der Währung wäre daher nicht schlecht.

Für Anleger

Die Aktienmärkte in den Niederlanden haben auf die Schwierigkeiten ganz anders reagiert als die Märkte in Südeuropa. Sie haben sich in den letzten Jahren nur relativ wenig ermäßigt (seit 2008 minus 35 Prozent). Wenn die Schwierigkeiten in Holland überwunden sein werden, ist hier daher nicht mit einer großen Relief-Rallye zu rech­nen. Schauen Sie am holländischen Aktienmarkt nicht so sehr auf die gesamtwirtschaftliche Situation des Lan­des. Wichtiger sind die großen Konzerne, die am Welt­markt agieren.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

von Martin Hüfner, Assenagon
© 5. September 2013

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011)