Hüfners Wochenkommentar: Warum können Banker nicht wie Bäcker sein?

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Hüfner

24. April 2014. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Fehlprognose des Jahres war bisher der Zins. Die große Mehrheit der Volkswirte hatte am Jahresanfang mit einer Erhöhung der Renditen in Euroland gerechnet. Tatsächlich kam es genau umgekehrt. Die Zinsen sind seit Januar nicht gestiegen, sondern haben sich von dem erreichten niedrigen Niveau aus noch einmal um fast einen halben Prozentpunkt verringert. Was ist da schief gelaufen? Was heißt das für die weitere Entwick­lung?

Eigentlich war es ganz logisch, dass sich die langfristi­gen Kapitalmarktzinsen in diesem Jahr erhöhen müss­ten. Die Konjunktur zieht weltweit an. Damit nimmt die Nachfrage nach Krediten und Anleihen zu. Die US-amerika­nische Notenbank reduziert die Wertpapierkäufe auf den Kapitalmärkten. In Großbritannien redet man bereits über eine Leitzinsanhebung noch in diesem Jahr. In Eu­ropa sind die Geldmarktzinsen als Folge der abschmel­zenden Liquidität angestiegen. In einem solchen Umfeld wäre es eigentlich ein Wunder, wenn die langfristigen Renditen nach unten gingen.

Nun sind Volkswirte selten verlegen, wenn es darum geht, Fehlprognosen zu erklären. Sie haben auch jetzt eine Vielzahl von Gründen parat. Aber nur einer zieht wirklich.

Gesagt wird beispielsweise, dass die Inflation stärker zurückgegangen ist. Dadurch ist der Realzins, das heißt die Rendite abzüglich der Preissteigerung gestiegen. Das müsste durch sinkende Nominalrenditen ausgegli­chen werden. Schaut man sich jedoch die langfristige Entwicklung von Zins und Inflation an (siehe Grafik), dann zeigt sich, dass der Realzins derzeit keineswegs zu hoch ist. Da war nichts zum Ausgleichen. In den letzten 15 Jahren betrug er 2,5 Prozent, jetzt dagegen nur 1 Prozent.

Zins und Inflation
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Rendite 10-jähriger Bundesanleihen und Zunahme der Verbraucherpreise im Euroraum

Ein anderer Grund, der für die sinkenden Zinsen ange­führt wird, ist die Entwicklung der US-amerikanischen Ren­diten. Sie haben sich – ebenfalls überraschend – trotz der geringeren Käufe der Notenbank an den Kapital­märkten zurückgebildet. Die europäischen Märkte kön­nen sich von einer solchen Bewegung bei wenig verän­derten Wechselkursen normalerweise nicht abkoppeln. Aber auch das überzeugt nicht. Denn die US-Zinsen sind wesentlich weniger gesunken als die europäischen.

Angeführt wird ferner die verbreitete Erwartung, dass die Geldpolitik im Euroraum noch einmal gelockert werden könnte. In der Tat gibt es seit Monaten Spekulationen, dass die Leitzinsen gesenkt werden könnten. Manche rechneten auch damit (noch wichtiger für die Kapital­märkte), dass wie in den USA ein „Quantitative Eas­ing“-Programm aufgelegt werden könnte. So etwas hätte natürlich zinssenkende Wirkungen. Bisher ist es dazu aber nicht gekommen. Ich halte es auch für unwahr­scheinlich.

Ein anderer Grund, der genannt wird, ist, dass die öf­fentliche Hand sowohl in den USA als auch in Euro-
pa den Kapitalmarkt weniger in Anspruch nimmt. In Deutschland ist der Staatshaushalt inzwischen weit­ge­hend ausgeglichen. Der Finanzminister muss nur noch die Tilgungen refinanzieren. Auch in anderen Staaten sieht es tendenziell besser aus. Das hilft natürlich den Zinsen. Andererseits sollte man den Effekt nicht über­treiben. So hoch waren die Kreditaufnahmen der öf­fentlichen Haushalte zuletzt nicht mehr.

Nun kann man sagen, dass es nicht ein einzelner Grund war, der die Kapitalmärkte bewegte, sondern die Ge­samtheit aller Argumente. So etwas kommt manchmal vor. Diesmal ist es meines Erachtens aber nicht so.

Es gibt nämlich ein Argument, das im bisherigen Verlauf des Jahres eine überragende Bedeutung hatte. Das ist die Zunahme der Risiken auf den Märkten beziehungs­weise die Abnahme der Risikoneigung der Investoren. Es gab eine Reihe von Ereignissen, die die Anleger vor­sichtiger werden ließ. Das begann im Januar mit den Unruhen in einer Reihe von Schwellen- und Entwick­lungsländern, in denen es zu erheblichen Kapitalab­flüs­sen kam. Dann gab es die politischen Spannungen in der Ukraine. In Euroland gab es Unsicherheiten im Zu­sammenhang mit den Regierungswechseln in Italien und Frankreich. All das hat auch die Aktienmärkte unsicher werden lassen. Die Kurse sind dort seit Januar per Sal­do nicht mehr gestiegen. Es zeigte sich die alte Korrela­tion (die in der Vergangenheit manchmal in der Verges­senheit geraten ist): Wenn die Aktienkurse nicht mehr steigen, gehen Anleger in Bonds.

Für Anleger

Was heißt das nun für die weitere Entwicklung der Zin­sen? Machen Anleger nicht einen Fehler, wenn sie bei dem erreichten niedrigen Niveau der Zinsen noch in langfristige Papiere investieren? Nicht unbedingt. Wer an eine Deflation in Euroland glaubt (ich tue das nicht), für den sind niedrigere Zinsen durchaus vorstellbar. In der Schweiz liegt die Geldentwertung bei Null, die lang­fristige Rendite ist auf 1 Prozent gesunken. In Japan rentieren zehnjährige Staatsanleihen nur bei 0,6 Prozent. Wenn den eu­ropäischen Kapitalmärkten solche Perspektiven bevor­stehen sollten, dann sind Investments in langfristige Bonds auch bei den jetzigen Zinsniveaus noch inte­res­sant.

Noch etwas anderes gibt es aber zu beachten. Bei der Risikoneigung der Anleger handelt es sich um einen „weichen Faktor“. Er kann sich von heute auf morgen und ohne größere Ankündigung schnell ändern. Dann steigen die Zinsen plötzlich wieder. Das ist nicht ganz abwegig. An den Aktienmärkten beispielsweise erwartet die Mehrheit der Beobachter, dass die Kurse im Verlauf des Jahres wieder nach oben gehen. Dann würden auch die Zinsen steigen.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

von Martin Hüfner, Assenagon
© 24. April 2014

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011)