Hüfners Wochenkommentar: "Das japanische Experiment"

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Hüfner

4. Januarr 2013. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Es sieht so aus, als würde die Welt in diesem Jahr ein wirtschafts- und währungspolitisches Experiment nie ge­sehenen Ausmaßes erleben. In allen großen Industrie­ländern bestand bisher weitgehender Konsens über die politischen Prioritäten. Die Staatsschulden sollen ohne größere Gefährdung des Wachstums abgebaut werden. Die hohe Liquidität auf den Märkten darf nicht zu einer Inflation führen. Jetzt kommt der neue Ministerpräsident von Japan, Shinzo Abe, und will alles ganz anders ma­chen.

Er hat sich vorgenommen, den Teufelskreis aus Rezes­sion und Deflation, in dem sich Japan seit 20 Jahren be­findet, zu durchbrechen. Dazu will er das Wirt­schafts­wachstum ohne Rücksicht auf die Staatsschulden (die in Japan bekanntlich schon heute die höchsten der Welt sind) mit höheren Staatsausgaben ankurbeln. Noch für Januar plant er ein erstes Programm von 10 Billio­nen Japanische Yen (umgerechnet rund 90 Milliarden Euro oder rund 2,6 Prozent des BIP). Gleichzeitig soll die Preissteigerung, die der­zeit unter Null liegt, auf 2 Prozent angehoben werden. Dazu soll die Bank of Japan, die formell nach wie vor unab­hängig ist, die Geldschleusen noch weiter öffnen. In ihrer letzten Sitzung des Jahres hat die Zentralbank quasi in vorauseilendem Gehorsam ihr Wertpapierankaufsprogramm noch einmal erhöht. Sie wird aber sicher noch mehr tun müssen.

Wenn Shinzo Abe mit dieser Politik Erfolg hätte, würde das die Welt in vielerlei Hinsicht verändern. Es würde Japan nicht nur selbst wieder besser gehen. Das Wachstum würde wieder über die 1 Prozent steigen, die in den letzten 20 Jahren im Schnitt erzielt wurden (siehe Grafik). Es hätte auch positive Auswir­kungen auf die Weltwirtschaft. Japan würde zudem als wirtschaftliche Macht in Asien wieder eine größere Rolle spielen. Das würde angesichts der bestehenden politischen Span­nungen in der Region und den außenpolitischen Ambi­tionen Abes freilich nicht jedermann freuen. Schließlich würde die bisherige wirtschafts- und währungspolitische Strategie Europas und Amerikas in Frage gestellt. Man müsste darüber nachdenken, ob man die japanischen Rezepte nicht auch anderswo einsetzen könnte. In je­dem Fall wäre das Menetekel vom Tisch, dass niedriges Wachstum und Deflation ein Schicksal alternder Indus­triegesellschaften sind.

Wieder mehr Wachstum in Japan?
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Quelle: IWF

Aber wird Abe Erfolg haben? Die Märkte sind derzeit optimistisch. Die Aktienkurse in Tokio sind in den letzten Wochen so stark gestiegen wie schon lange nicht mehr. Die japanischen Zinsen haben sich von ihrem Tiefstand von unter 0,7 Prozent erholt und notieren für zehnjährige Staatsanleihen wieder bei knapp 0,8 Prozent. Der Wechsel­kurs des Yen hat sich abgewertet und entlastet damit die Exportwirtschaft. Die Märkte sind offenbar beeindruckt von dem Schwung, mit dem die neue Regierung vorgeht. Mancher erinnert sich an die alte Erfahrung, was Japan alles erreichen kann, wenn es seine Kräfte konzentriert und auf ein Ziel fokussiert. Auch mancher westliche Kommentator ist beeindruckt.

Ich schließe mich der Euphorie nicht an. Das Ziel der Regierung, Wachstum anzuregen und die Deflation zu überwinden, ist lobenswert. Die Mittel dazu, sind aber keine Innovation, sondern ein Griff in die alte Motten­kiste keynesianischer Rezepte. Deficit Spending und lo­ckere Geldpolitik sind geeignet, um kurzfristige Nachfra­geausfälle zu kompensieren, aber nicht um langfristig nachhaltiges Wachstum zu generieren.

Japan hat vor allem Strukturprobleme. Dazu braucht es andere Rezepte. Seine Bevölkerung geht demografisch bedingt zurück. Dazu müsste man die Grenzen für Ein­wanderer öffnen. Die binnenmarktorientierten Unterneh­men, vor allem der Mittelstand, sind nicht produktiv ge­nug. Dazu bräuchte es spezielle Wachstumsimpulse. Es fehlt an Wettbewerb und Corporate Governance (wie sich im Fall Fukushima deutlich zeigte). Der Unterneh­mensverband Keidanren fordert dazu Deregulierungen. Es ist angesichts der Historie und der traditionell auf die Landwirtschaft fixierten Partei des neuen Ministerpräsi­denten (LDP) zu bezweifeln, dass er solche Ideen auf­greift.

Hinzu kommt, dass die Ausgangsbedingungen für ein rein keynesianisches Programm denkbar schlecht sind. Japan befindet sich wie andere Industrieländer in der berühmten Liquiditätsfalle. Hier kann mit monetären Maßnahmen wenig bewirkt werden. Wenn die Staats­verschuldung weiter steigt, ist zu befürchten, dass die Ra­ting-Agenturen die Bonität Japans herabstufen. Das würde die Zinsen erhöhen und die private Investi­tions­tätigkeit beeinträchtigen.

Es ist im Übrigen auch schwer vorstellbar, dass die Han­delspartner Tokios das alles widerspruchslos hinneh­men. Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der japa­nischen Unternehmen durch eine Abwertung der Wäh­rung ist „Beggar-thy-Neighbour“-Politik pur. Das werden weder die Amerikaner noch die Chinesen akzeptieren. Auch die Europäer würden dagegen sicher ihre Stimme erheben.

Für den Anleger

Zwei Schlussfolgerungen: Zum einen wird das japani­sche Experiment keine Auswirkungen auf die politischen Prioritäten in den USA und in Europa haben. Dazu ist es zu einfallslos. Zum anderen sollte man beim Anstieg des Nikkei-Index vorsichtig sein. Natürlich ist der Kursanstieg der letzten Wochen verlockend. Man muss nicht gleich an die früheren Höchststände von 38.000 denken, die sicher nicht mehr erreicht werden. Aber Kursniveaus von 15.000 könnten durchaus interessant sein. Ich vermute, dass der Nikkei (wenn das internationale Umfeld stimmt) in den ersten Monaten der neuen Regierung durchaus noch Spiel nach oben hat. Ich rechne jedoch mit einer Ernüchterung, sobald sich zeigt, dass die Probleme Ja­pans mit den vorliegenden Konzepten nicht zu lösen sind.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 4. Januar 2012 /Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.

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