Hüfners Wochenkommentar: Ein Contrarian View zur Konjunktur


Hüfner

5. Januar 2012. FRANKFURT ( Börse Frankfurt). Die derzeitigen Konjunkturprognosen liegen zu nahe beieinander und sind zu einfach „gestrickt“.

Ich vermute, dass das Wachstum 2012 besser als erwartet wird, 2013 aber schlechter. Das hat aber nur begrenzte Auswirkungen auf die Märkte, weil diese in erster Linie vom weiteren Verlauf der Schuldenkrise bestimmt werden. So nahe beieinander lagen die Konjunkturprognosen für Deutschland selten. Fast alle Vorhersagen gehen derzeit für 2012 von einem Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts zwischen 0 Prozent und 1 Prozent aus. Das provoziert geradezu die Frage, ob es nicht anderes kommen könnte.

Dies umso mehr, als die Prognosen auf einem ganz einfachen Bild basieren. Angenommen wird, dass wir jetzt eine Krise haben (was jeder weiß), dass diese aber in wenigen Monaten vorbei sein wird. Dann ist die Welt wieder in Ordnung und die Unternehmen werden fröhlich investieren. Entsprechend wird die Wirtschaft im vierten Quartal 2011 und im ersten (und vielleicht auch noch im zweiten) Quartal 2012 stagnieren, eventuell auch leicht zurückgehen. Im weiteren Verlauf des Jahres wird sich die Situation aber wieder entspannen. Für das kommende Jahr sehen die Aussichten daher vergleichsweise gut aus. Das Wachstum könnte in Deutschland wieder über 1 Prozent liegen.

Ich halte beides für zu einfach. Weder ist die aktuelle Lage so schlecht wie viele meinen, noch sind die Eurokrise und die weltwirtschaftlichen Verwerfungen so harmlos, dass es nur eine vorübergehende Durststrecke gibt. Das wird vielmehr länger dauern.

Zur aktuellen Lage: Gemessen an den Stimmungsindikatoren ist ein stärkerer Pessimismus derzeit noch nicht gerechtfertigt. Seit zwei Monaten stabilisiert sich der Geschäftsklimaindex des ifo Instituts (Grafik). Das darf man zwar nicht überschätzen. Es ist aber ein Indiz, dass das vierte Quartal vielleicht doch nicht so schlecht gelaufen ist.

In die gleiche Richtung deutet das ungewöhnlich warme Wetter des bisherigen Winters. Im Oktober und November waren die Temperaturen schon relativ hoch. Im Dezember lagen sie im Durchschnitt um 2,5 Grad über dem Schnitt der letzten dreißig Jahre und um 7 Grad über denen im Dezember 2010. Der Januar hat auch nicht schlecht angefangen. Erfahrungsgemäß erhöht ein milder Winter das gesamtwirtschaftliche Wachstum um rund 0,3 Prozentpunkte. Ich wäre daher nicht überrascht, wenn die Wirtschaft mit einem höheren Überhang in das neue Jahr gehen würde, als bisher angenommen (statt 0,2 vielleicht 0,4 Prozentpunkte).

Stabilisiert sich die Konjunktur?

ifo-Index

Quelle: ifo Institut

Zum weiteren Verlauf des Jahres: Bisher zeichnet sich im Gegensatz zu den optimistischen Annahmen der Konjunkturpropheten noch keine Entspannung der Krise ab. Von den drei Problemen, die für eine Bereinigung der Probleme in Euroland notwendig sind – Reduktion der Schulden, Stimulierung des Wachstums und Europäisierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik – ist bisher erst auf einem Gebiet Fortschritt erzielt worden, nämlich bei der Konsolidierung der Haushalte. Und auch da gibt es mehr Absichtserklärungen als Fakten. Es ist schwer vorstellbar, dass die anderen Punkte in ein paar Monaten zu bewältigen sind, zumal es in Frankreich im April Wahlen gibt, die vieles noch schwieriger machen.

Was sich bisher überhaupt noch nicht ausgewirkt hat, sind die Probleme durch die geplante Beteiligung der Kreditwirtschaft am Schuldenschnitt Griechenlands, dem „Private Sector Involvement“. Sie muss nach aller Logik dazu führen, dass die Banken bei der Kreditgewährung an Unternehmen und private Haushalte zurückhaltender werden. Es muss eine Kreditklemme geben. Nach den Befragungen des ifo Instituts ist das bisher aber noch nicht zu erkennen. Da kommt also noch etwas auf uns zu.

Auch in der Weltwirtschaft, vor allem in den Schwellenländern, ist schwer vorstellbar, dass alle Probleme im Sommer vorbei sein sollen. Natürlich werden derzeit die monetären Restriktionen in China und Brasilien gelockert, demnächst sicher auch in Indien. Erfahrungsgemäß dauert es aber eine gewisse Zeit, bis sich das auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auswirkt. Darüber hinaus gibt es in diesen Ländern erhebliche strukturelle Probleme, die das Wachstum bremsen. In China beispielsweise muss die Nachfrage vom Export auf den privaten Konsum umgeschichtet werden. Die Produktion muss wegen der steigenden Löhne von Billigprodukten auf anspruchsvollere Güter umgestellt werden. Das braucht Zeit. Ich würde mich wundern, wenn das Wachstum in China jetzt auf 8 Prozent zurückgeht, dann aber im nächsten Jahr wieder auf 10 Prozent steigt, so als ob nichts gewesen wäre.

Im Übrigen gibt es noch die notwendige Restrukturierung der Banken und der nach den Wahlen in den USA anstehende Schuldenabbau auch in Amerika. Es wäre ungewöhnlich, wenn das so reibungslos an der Konjunktur vorbeigehen würde.

Wenn die hier aufgezählten Faktoren richtig sind, dann wird es keine so starke Durststrecke im Winter geben. Die nächsten Quartale werden uns positiv überraschen. Das gesamtwirtschaftliche Ergebnis 2012 könnte besser ausfallen, vielleicht sogar über 1 Prozent. Denn die ersten Quartale sind für den Durchschnitt eines Jahres wichtiger als die letzten. Andererseits wird das zweite Halbjahr schlechter als derzeit erwartet. Das hat dann Konsequenzen für das Jahr 2013. Es könnte schlechter werden als 2012.

Für den Anleger

Rein von der Konjunktur her gesehen wird es in den kommenden Monaten positive Signale geben. Lassen Sie sich davon aber nicht täuschen: Das heißt nicht, dass die konjunkturelle Delle schon vorbei ist. Das dicke Ende kommt erst noch. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Konjunktur in diesem Jahr gerade für die Aktienmärkte nicht die Bedeutung hat, die ihr sonst zukommt. Die Unternehmen haben sich auf eine Schwächeperiode gut vorbereitet. Eine Abnahme der Nachfrage wird sich daher weniger als sonst in den Gewinnen niederschlagen.

© 12. Januar 2012/Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.