Hüfners Wochenkommentar: Griechenland ein zweites Argentinien?


Hüfner

27. Oktober 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). So wie es aussieht, läuft das Superprogramm zur Rettung des Euro, das die Staats- und Regierungschefs der EU diese Woche in Brüssel verabschieden werden, im Kern auf einen einzigen Punkt hinaus: Einen Schuldenschnitt für Griechenland. Alles andere ist Beiwerk. Das Bankenprogramm soll verhindern, dass die Kreditwirtschaft dadurch in Schwierigkeiten gerät. Die „effizientere Nutzung“ der Mittel der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität EFSF dient dazu, Ansteckungseffekte von Griechenland, vor allem auf Italien, zu verhindern. Die geplanten Änderungen an den Lissabon-Verträgen sind noch sehr vage. Ich habe an dieser Stelle schon gesagt, dass mit einem solchen, allein auf Griechenland fokussierten Programm, die Probleme des Euro nicht gelöst sind. Aber kommt damit wenigstens Athen auf die Beine?

Um die Frage zu beantworten, habe ich mir noch einmal den Fall Argentinien angeschaut. Das südamerikanische Land stellte Ende 2001 die Zahlungen auf seine Schulden ein. Ein Jahr später ging es mit der Wirtschaft wieder kräftig bergauf. 2003 stieg das reale Bruttoinlandsprodukt um 9 Prozent. In den drei folgenden Jahren erhöhte sich die Wirtschaftsleistung noch einmal um 7 bis 9 Prozent. Fünf Jahre nach dem Schuldenschnitt lag das reale Bruttoinlandsprodukt etwa 50 Prozent über dem Niveau zum Höhepunkt der Krise (siehe Grafik). Die Aktienkurse in Buenos Aires haben sich von 2001 bis 2007 mehr als verzehnfacht. So etwas wäre ein Traum für Griechenland. Kann man sich das vorstellen?

Verdient hätten es die Griechen. Sie haben in den letzten zwei Jahren unglaubliche Einschränkungen hinnehmen müssen. Das öffentliche Defizit hat sich um 12,5 Prozentpunkte verringert (ohne Schuldendienst und bereinigt um Konjunktureffekte). Das ist mehr als ein Industrieland in den letzten 25 Jahren je gespart hat. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um 5 Prozent sinken, nachdem es schon in den letzten zwei Jahren um fast 7 Prozent zurückgegangen ist.

Trotzdem sieht es nicht so aus, dass eine unmittelbare Besserung wie in Argentinien bevorsteht. Die strikten Sparauflagen der Troika von IWF, EU und EZB gelten aller Voraussicht nach auch nach dem Schuldenschnitt. Es könnte sogar sein, dass sie noch verschärft werden. Denn die Griechen setzen die Maßnahmen nicht konsequent um. Die Privatisierung kommt nicht voran. Die Steuereintreibung lässt zu wünschen übrig. Die Bevölkerung revoltiert gegen die Maßnahmen. Wie soll bei andauernden Streiks die Wirtschaft wieder in Gang kommen? Da müssen die Griechen noch nachlegen. Das kostet weiteres Wachstum.

Darüber hinaus stimmt aber auch das Konzept nicht. Es muss ergänzt werden. Es setzt im Wesentlichen auf Sparen. Mit Sparen allein aber – das lehren sowohl die Theorie als auch die Lebenserfahrung – erzielt man keinen ausgeglichenen Haushalt. Das wird auch für Italien gelten, das derzeit seine Konsolidierungsanstrengungen noch verstärkt.

Bei allen Sanierungen, die der IWF in anderen Ländern mit Erfolg durchgezogen hat, kam zum Sparen und immer auch eine Abwertung der Währung. Auch in Argentinien gab es eine Abwertung, obwohl sich das Land damals vom IWF losgesagt hatte. Durch die Wechselkursveränderung verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit und die Exportwirtschaft kann wieder auf die Beine kommen.

Dieser Weg fällt in Griechenland wegen der Währungsunion aus. Keiner der Offiziellen in Brüssel oder in Athen will einen Austritt des Landes aus dem Euro. Wenn das aber nicht der Fall ist, muss man über andere Maßnahmen nachdenken. Das kann nur ein Wachstums- und Investitionsprogramm für die griechische Wirtschaft sein. Neben dem Tourismus-, Schifffahrts- und Reedereigeschäft müssten zusätzliche Produktionen, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien, aufgebaut werden. Das Land hat Sonne und Wind zum Überfluss. Für Mitteleuropa wäre es einfacher, Strom aus dem Peloponnes zu importieren, statt über Desertec aus Nordafrika.

Gelder aus den europäischen Hilfstöpfen sollten also nicht, oder jedenfalls nicht überwiegend, in die allgemeine Haushaltsfinanzierung fließen, sondern in produktive Investitionen. Voraussetzung ist freilich eine entsprechende Corporate Governance. Investitionen müssen zügig und ohne bremsende Auflagen genehmigt werden. Gelder dürfen nicht in dunklen Kanälen versickern. Rechnungen müssen ordnungsgemäß bezahlt werden.

Solche modernen Verwaltungsstrukturen zu etablieren ist schwierig und kostet Zeit. Vielleicht wird am Ende nichts anderes übrig bleiben, als Experten aus Brüssel und anderen Städten auf Zeit nach Griechenland zu entsenden, um ein Reformprogramm durchzusetzen. Das ist in einer so stolzen und demokratischen Gesellschaft wie Griechenland aber nicht einfach.

Für den Anleger

Der geplante Schuldenschnitt ist in seiner jetzigen Form zu kurz gesprungen. Er reicht nicht aus, das Land endgültig zu sanieren. Gehen Sie daher nicht davon aus, dass die Schwierigkeiten schnell überwunden werden können und die Märkte wieder in den Normalmodus wechseln. Einen Aufschwung an der Börse, wie in Argentinien nach dem Schuldenschnitt, wird es in Athen nicht geben. Wenn es aber in Griechenland nicht voran geht, dann zieht sich auch die Eurokrise noch eine Weile hin. Die Vorschusslorbeeren, die die Börse dem Eurorettungsprogramm gegeben hat, waren voreilig.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 27. Oktober 2011/Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.