Hüfners Wochenkommentar: Neue Architektur für Europa

Hüfner
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17. März 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Über die schrecklichen Ereignisse in Japan ist der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs zum Euro am vergangenen Wochenende in den Hintergrund geraten. Die Märkte haben positiv auf die Beschlüsse zum Rettungsschirm und zum Pakt für den Euro reagiert. Sie haben sich das aber nicht intensiver angeschaut. Vor allem haben sie nicht bemerkt, dass sich mit diesem Treffen in Brüssel eine wichtige institutionelle Änderung ergeben hat. Sie könnte das Bild der Gemeinschaftswährung in Zukunft erheblich beeinflussen. Es gibt eine neue Architektur für den Euro.

Zum ersten Mal haben die Staats- und Regierungschefs der EU offiziell ohne die Mitglieder getagt, die dem Euroraum nicht angehören. Bisher war so etwas nur in Notsituationen 2008 geschehen (zum Teil war damals aber auch der britische Premier Brown dazu geladen).

Diesmal war es eine reguläre Sitzung. Nach dem Mittagessen, an dem alle EU-Staaten teilgenommen hatten, mussten die Vertreter der „Outs“ den Raum verlassen. Die Partner im Eurosystem blieben unter sich. So etwas gab es bisher nur bei den Finanzministern. Sie kommen jeweils am Vorabend von Treffen des Ecofin-Rats zusammen, um ihre spezifischen Probleme zu besprechen und um eine gemeinsame Linie für die Verhandlungen mit den anderen Kollegen zu vereinbaren. Das ist die sogenannte Eurogruppe. Sie hat einen eigenen Vorsitzenden, der jeweils für zwei Jahre gewählt wird. Im Augenblick ist es der luxemburgische Ministerpräsident Jean Claude Juncker.

Durch die Etablierung einer Eurogruppe nunmehr auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wird ein Signal für eine stärkere politische Zusammenarbeit in der Währungsunion gesendet. Die Staats- und Regierungschefs machen deutlich, dass die Währungsunion

  • nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik braucht,
  • dass sie auch nicht nur einen Stabilitätspakt benötigt, der für Disziplin in der Finanzpolitik sorgt, dass es auch
  • nicht nur um mehr Wettbewerbsfähigkeit in der Union geht, sondern dass auch
  • eine gemeinsame Haltung in den anderen Bereichen der Politik erforderlich ist. Sie könnte sich in dem neuen Gremium entwickeln.

Die Gründung der Eurogruppe könnte damit ein erster, vorsichtiger Schritt in Richtung auf eine politische Union sein. Das wäre für das Funktionieren der Währungsunion auf Dauer wichtig. Die „unvollständige Währungsunion“ (George Soros) würde etwas weniger unvollständig. Ob das freilich gelingt, hängt davon ab, wie das neue Instrument genutzt wird. Im Übrigen sind die Verhandlungen im Kreis der Euroländer effizienter, weil weniger Mitglieder am Tisch sitzen. Sie sind auch zielgerichteter, weil nur die dabei sind, die unmittelbar durch den Euro betroffen sind.

Nun soll man die Bedeutung der neuen Gruppe auch nicht überschätzen. Ich habe die positiven Effekte bewusst im Konjunktiv formuliert. Es ist eine Chance, die man nutzen kann, die aber auch im Sand verlaufen kann. Erfahrungsgemäß dauert es zudem erhebliche Zeit, bis sich unter den Mitgliedern einer neuen Institution ein Corpsgeist entwickelt. Es ist noch nicht bekannt, in welchen Abständen die Eurogruppe in Zukunft tagt. Sie hat bisher auch noch keinen Vorsitzenden. Es ist auf die Dauer kaum denkbar, dass der bisherige Ratspräsident van Rompuy auch dieser Gruppe vorsitzt. Es ist schon darüber spekuliert worden, dass die deutsche Bundeskanzlerin Merkel Präsidentin der neuen Gruppe werden könnte. Das wäre sicher keine schlechte Lösung.

Bemerkenswert ist, dass die Eurostaats- und Regierungschefs die Gruppe einberufen haben, obwohl es dagegen heftigen Widerstand der „Outs“ gab. Das spricht dafür, dass sie ein Zeichen setzen wollten. Bereits die Eurogruppe der Finanzminister hat innerhalb der Union zu Verstimmungen geführt. Die „Outs“ fühlen sich von wichtigen Beratungen ausgeschlossen. Tatsächlich werden sie häufig auch dominiert. Wenn die 17 Eurogruppenmitglieder mit einer abgestimmten Position in die Sitzung kommen, haben es die anderen schwer, sich mit eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Das wird auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs nicht anders sein. Der polnische Premier Tusk warf den Euroländern vor, sie würden die anderen „demütigen“. Der britische „Economist“ formulierte in seiner letzten Ausgabe in vier Artikeln eine wahre Philippika gegen das Projekt. Er malte die Gefahr eines Schismas in der EU an die Wand. Es könne sogar nicht ausgeschlossen werden, dass die Briten auf Dauer aus der gesamten Union austreten müssten. Der britische Premierminister Cameron war in dieser Sache zurückhaltender. Er meinte nur, die Eurogruppe würde die Briten nicht tangieren.

Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, dass sich einzelne Mitglieder der EU zu getrennten Gruppen zusammentun. Eine ist zum Beispiel die Schengen-Gruppe, die untereinander offene Grenzen praktiziert. Ihr gehören sogar auch Staaten an, die nicht der EU beigetreten sind. Erst kürzlich hat sich die Schweiz ihr angeschlossen. Eine andere ist die verteidigungspolitische Zusammenarbeit. Auch bei den EU-Patenten kann es zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten kommen.

Über solche Sondervereinbarungen hat sich bisher niemand aufgeregt. Im Falle des Euro ist dies jedoch etwas anderes. Hier geht es um einen Kernbereich der Europäischen Union, nämlich die Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es ist deshalb wichtig, dass sie nicht zu einer Trennung in der EU führt. Der Dialog mit den „Outs“ muss weitergehen.

Manche befürchten, dass die Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet werden könnte. Diese Angst teile ich nicht. Im Gegenteil. Wenn eine Zentralbank einen Gegenpart auf politischer Ebene hat, dann hat sie mehr Möglichkeiten, sich in ihrer Unabhängigkeit zu profilieren. Die Bundesbank war immer dann stark, wenn sie sich gegen die Regierung stellte.

Für den Anleger

Für den Euro ist die neue Architektur in Euroland eine gute Nachricht. Die Gemeinschaftswährung wird stärker. Auslandskapital wird wieder vermehrt in den Euroraum fließen. Das hilft für sich genommen auch den Kapitalmärkten. Allerdings wird es noch eine Zeit dauern, bis die Änderung in das Bewusstsein der Devisenmärkte dringt.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 17. März 2011/Martin Hüfner

Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.