Marktsentiment: Aktieninvestoren setzen volles Vertrauen in die US-Politik

Zusammenfassung der Analyse

Einigen Profis reicht es, viele Privaten wollen mehr: Angesichts der Preishöhenflüge deutscher Standardaktien sind seit vergangenen Mittwoch 1 Prozent der Anleger aus dem den Positionen ausgestiegen und 6 Prozent short gegangen. Der Bull/Bear-Index als Maß für den absoluten Optimismus im Markt steht mit 55 Punkten weiterhin im bullishen Bereich. Die Analysten von Cognitrend sehen in der Bewegung weniger eine Reaktion auf die US-Haushaltskrise als am Glauben, Aktien seien nicht mehr so günstig bewertet nach den jüngsten Rekordkursen. Der DAX hat nämlich im betrachteten Zeitraum 250 Punkte zugelegt und gestern Abend mit neuem Rekordniveau geschlossen. Noch mutiger agieren die Privatanleger, von denen 5 Prozent zusätzlich in Aktien eingestiegen sind. Das hält deren Marktstimmung bei 62,1 Punkten auf luftigem Niveau. In Summe findet Gianni Hirschmüller, dass das „Risikoereignis“ der möglichen  Zahlungsunfähigkeit der USA, nicht in ausreichend eingepreist sei.

Bei der Einzelwertbetrachtung hat sich die Deutsche Post vom erwarteten Top-Performer zum größten Verlierer gewandelt, Gewinnmitnahmen vermuten die Analysten. Auf Platz 1 der Gewinner steht nun die Deutsche Telekom.

Bull/Bear-Index: 55,0 Punkte

Vorwoche: 58,9 Punkte. Oberhalb 50 Punkte ist der Markt optimistisch, unterhalb pessimistisch.

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Hirschmüller

16. Oktober 2013. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Noch vor gut drei Wochen hat kaum ein Finanzmarktteilnehmer mit dem radikalen Ausgabenstopp in den USA gerechnet. Als dieser zum ersten Oktober dann doch eingeläutet wurde, haben eben diese Akteure wiederum nicht daran geglaubt, dass der Stopp bis heute andauern würde. Und nun sind ausgerechnet sie es, die fest darauf bauen, dass der US-Kongress in letzter Minute zu einem Kompromiss findet, der das Sprengen der Schuldengrenze verhindern wird.

Man muss schon großes Vertrauen in die US-Politiker haben, um so viel Zuversicht auszustrahlen. Die von der Börse Frankfurt befragten Investoren scheinen damit kaum Probleme zu haben. Doch nicht nur sie, auch weltweit üben sich Finanzmarktakteure in Gelassenheit. Aktien solle man kaufen, die Warnungen der Rating-Agenturen ignorieren und sich nicht verrückt machen lassen, heißt es da: Der Stichtag am 17. Oktober sei schließlich ein biegsames Datum, das US-Finanzminister Lew umgehen könne und somit noch für ein oder zwei Wochen Spielraum im Staatshaushalt gegeben sei. Wer dies alles hört, sollte beginnen, Fragen zu stellen. Warum bleiben die Finanzmärkte angesichts der größten Bedrohung der vergangenen Jahre so gelassen? Warum hat man sich dann eigentlich vor der potenziellen Pleite Zyperns oder ähnlich dramatischen Ereignissen in der Vergangenheit gefürchtet?

US-Eklat allerorten spürbar

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Die Auswirkungen der US-Haushaltskrise sind bereits überall zu spüren: in Deutschland und sogar im Weltall. Da die staatliche Weltraumbehörde fast ihr gesamtes Personal in Zwangsurlaub schicken musste, werden im All keine Fotos mehr geschossen. Ohne die schönen Aufnahmen der NASA, kann wiederum das Bayerische Fernsehen seine Sendung Space Night nicht ausstrahlen. Was sich oberflächlich wie eine Lappalie anhört, bedeutet jedoch verloren gegangene Wirtschaftskraft. Und für solche Verluste gibt es noch zahlreiche andere Beispiele. Die Vereinigten Staaten verspielen mit dem Haushaltseklat also nicht nur Vertrauen, sondern auch bares Geld.

Betrachtet man das heutige Ergebnis unserer Sentiment-Umfrage, könnte man meinen, einige Anleger seien nun doch durch die zuvor beschriebenen Ereignisse aufgeschreckt worden. Gegenüber der Vorwoche hat sich der Bärenanteil nämlich um sechs Prozent erhöht und somit der Optimismus ein wenig reduziert. Doch bei genauerer Betrachtung liegt jener noch immer auf Höhe des Jahresdurchschnitts. Und ein Blick auf die Kursziele der neuen Pessimisten (siehe Prognosedetails) offenbart, dass es nicht die Angst vor einem Crash gewesen ist, der die institutionellen Anleger zum Verkauf bewogen hat. Vielmehr dürfte die Verschiebung mit dem neuen Allzeit-Hoch im DAX einhergehen. Der Markt ist nicht mehr allzu günstig bewertet, dürfte sich der eine oder andere gedacht haben, da können Gewinnmitnahmen nichts schaden. Dabei haben sie jedoch immer im Hinterkopf, kleine Schwächeperioden des Aktienmarktes gleich wieder zum Einstieg zu nutzen.

Weit mutiger als die Profis sind hingegen die Privatanleger, deren Bullenlager weiter gewachsen ist. Kein Wunder, wenn vorwiegend über positive Aussichten der Aktienmärkte berichtet und wenig vor dem kritischen Zustand der US-Finanzen gewarnt wird. Der Bull/Bear-Index der Privatanleger stieg auf das höchste Niveau seit Ende Juni, nämlich auf 62,1 Punkte.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Der drohende Zahlungsausfall der USA ist ein Risikoereignis, das, abgesehen vom Markt für kurzlaufende US-Staatspapiere, kaum eingepreist wird. Enttäuscht der US-Kongress die Investoren, wird wohl nicht nur das Vertrauen an der Börse abstürzen.

von Gianni Hirschmüller, cognitrend
© 16. Oktober 2013

  Bullish Bearish Neutral
Total 43 % 34 % 23 %
ggü. letzter Erhebung -1 % +6 % -5 %

 

Institutionelle Anleger: Stimmungs- und DAX-Verlauf
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  • Stand DAX (16. Oktober): 8.800 Punkte (+2,92 % gegenüber der letzten Erhebung)
  • Stand Bull/Bear-Index: 55,0 Punkte

Verhältnis Optimisten zu Pessimisten

Mit Unterstützung von
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  Bullish Bearish Neutral
Total 55 % 32 % 13 %
ggü. letzter Erhebung +5 % -1 % -4 %

 

Private Anleger: Stimmungs- und DAX-Verlauf
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  • Stand DAX (16. Oktober): 8.800 Punkte (+2,92 % gegenüber der letzten Erhebung)
  • Stand Bull/Bear-Index: 62,1 Punkte

Weiterführende Links

Optimisten geben DAX freie Fahrt

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Hirschmüller

Mitten im ärgsten Haushaltsstreit, den die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten auszufechten hatten, geben sich die meisten institutionellen Investoren äußerst gelassen. Aus Furcht vor dem Absturz des Aktienmarktes agiert derzeit jedenfalls so gut wie niemand. Und obgleich in den USA von Politikern Fristen überschritten, Verhandlungen abgesagt und sogar seitens erzkonservativer Republikaner offene Drohungen ausgesprochen werden, man werde das Land in die Zahlungsunfähigkeit schlittern lassen, kann sich niemand vorstellen, dass bis morgen keine Einigung im Kongress gefunden wird. Analysten kalkulierten für ein Scheitern bis vor kurzem sogar eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0 bis 1 Prozent. Dabei signalisiert der ganz kurzfristige US-Anleihemarkt höchste Alarmbereitschaft.

Schneller Wiedereinstieg geplant

Die von der Börse Frankfurt befragten Institutionellen haben bislang keine besonderen Vorkehrungen getroffen. Zwar zog es einige Akteure aus dem Neutralen- ins Bärenlager hinein. Dies jedoch nicht, weil man einen Absturz des DAX-Index befürchtet, sondern weil das neue Allzeit-Hoch, das gestern markiert wurde, einige zu Gewinnmitnahmen verleitet und dadurch in die Untergewichtung getrieben hat.

Diese Vermutung mag ein wenig gewagt klingen. Schließlich ist ein Anstieg von sechs Prozent bei den Bären und keine größere Abwanderung bei den Bullen registriert worden. Ein Blick auf die Kursziele der Pessimisten erklärt allerdings unsere Annahme: Die Bären haben ihre mittleren Preisprognosen dramatisch nach oben geschraubt – um satte 300 auf 8.500 DAX-Punkte. Ein weiteres Indiz dafür, dass die aktuellen Verkäufer keine eingefleischten Aktienpessimisten sind, die große Pläne haben, sondern lediglich auf einen kleinen Rücksetzer schielen, um schnell wieder auf den haussierenden Börsenzug aufspringen zu können. Entsprechend hoch liegt der Wert, bei dem sich die ersten Bären wieder einstiegsbereit zeigen. Bereits bei 8.610 wäre dies der Fall.

Ganz erstaunlich ist diesmal das Verhalten der Optimisten. Sie stellen dem DAX quasi einen Freifahrtschein auf die 9.000er Marke aus. Die tiefste Prognose sitzt weit oberhalb des aktuellen Kursniveaus bei 8.905 Zählern und damit auch sehr nahe am Median, der genau bei 9.000 Zählern liegt.

Auch das neutrale Lager hat seine Prognosebandbreite kräftig nach oben verlegt. Der Mittelwert liegt exakt auf dem Erhebungskurs bei 8.800 DAX-Punkten. 

   Median höchster Wert* tiefster Wert* Streuung
Bullen 9.000 / +200 9.115 8.905 105 / -45
Bären 8.500 / +300 8.610 8.270 170 / -5
Neutrale 8.800 / +200 8.830 8.750 40 / -60

* = eine Standardabweichung vom Mittelwert aller Kursprognosen.

DAX-Gewinner und -Verlierer: Telekom viel dynamischer als Deutsche Post

Einzelwertanalyse

Untersucht werden die Aktien, die für Bullen und Bären derzeit die größten Favoriten darstellen, also die mit der besten erwarteten Entwicklung und die mit der schlechtesten.

Was für ein Absturz: Noch vergangene Woche hatte die Deutsche Post die Führungsposition auf unserer Top-Liste inne. Nun muss sich der DAX-Titel mit einigen anderen den letzten Platz teilen. Nicht ein einziger Teilnehmer unseres Sentiment-Panels stimmte heute für dieses Papier. Dabei hat sich der Kurs seit vergangenem Mittwoch eigentlich ganz passabel entwickelt. Der Anstieg erfolgte jedoch nur sehr langsam. Die Bullen der Vorwoche könnten daher bei der Post Gewinne mitgenommen und auf ein anderes, weit dynamischeres Pferd gesetzt haben.

Zu den heißesten Kandidaten gehört sicherlich die Aktie der Deutschen Telekom, die sich von 6 auf 8 Prozent verbessern konnte und nun den ersten Platz der DAX-Tops erobert hat. Die Commerzbank liegt mit 6 Prozent (+1 Prozent) der Stimmen auf Platz zwei. Mit ihr gleichauf liegen Deutsche Bank, K+S und Lanxess.

Die DAX-Flops werden weiterhin von der Commerzbank (13 Prozent) angeführt, auch wenn die Aktie nicht mehr ganz so viele Verkäufer (-4 Prozent) anzieht wie noch in der vergangenen Woche. Sie liegt diesmal mit K+S gleichauf, die ebenfalls 13 Prozent (-1 Prozent) der Stimmen verbucht.

Zwischen diesen beiden Titeln und den nächsten DAX-Werten Fresenius Medical Care und Adidas (beide 6 Prozent) klafft nach wie vor eine große Lücke. Interessant ist, dass diesmal die Deutsche Telekom auch auf der Flop-Liste vertreten ist. Für sie votierten 5 Prozent der Pessimisten. Offensichtlich ist ihnen der Kursanstieg – allein im Oktober gut 12 Prozent – zu schnell gegangen.

von Gianni Hirschmüller, cognitrend
© 16. Oktober 2013

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