Marktsentiment: Berlusconi verdirbt Anlegern die Stimmung

Zusammenfassung der Analyse

Das unerwartet gute Abschneiden Berlusconis hat die hiesige Marktstimmung verhagelt, wie die heutige Erhebung zeigtUnd zwar erheblich stärker, als es die 150 Punkte Verlust des DAX erwarten ließen. Denn 13 Prozent der etwa 300 befragten institutionellen Anleger haben seit vergangenem Mittwoch ihre DAX-Aktien verkauft, 8 Prozent sind short gegangen. Den Bull/Bear-Index drückt diese Bewegung von knapp 70 Punkte auf unter 58 Punkte. Gianni Hirschmüller von von Cognitrend glaubt, dass die Enttäuschung im Verlauf des Montags eine viel stärkere Reaktion provoziert hat. Und dass weiterhin ausländische Nachfrage den deutschen Aktienmarkt stützt, ein Lichtblick für Anleger.

Was den erwarteten DAX-Stand angeht, sind Optimisten und Pessimisten jetzt gleichweit vom tatsächlichen Stand entfernt. Bei den Einzwelwerten konnte E.ON die Erwartungen bislang nicht erfüllen und ist nun von VW als Spitzenwert abgelöst worden. Den stärksten Verlust trauen Anleger weiterhin der Commerzbank zu.

Bull/Bear-Index: 57,8 Punkte

Vorwoche: 69,4 Punkte. Oberhalb 50 Punkte ist der Markt optimistisch, unterhalb pessimistisch.

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Hirschmüller

27. Februar 2013. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Bundekanzlerin Angela Merkel dürfte am Montagabend wohl mit Grauen an einige politische Treffen der vergangenen Jahre gedacht haben, als sie das Endergebnis der italienischen Wahl vernommen hatte. Die Rückkehr Silvio Berlusconis auf die internationale politische Bühne ist aber nicht nur für sie, die von ihm verbal diffamiert oder beim Nato-Gipfelempfang einfach stehen gelassen wurde, ein Albtraum.

Auch Finanzmarktteilnehmer hätten sich gewünscht, dass dieser Name nicht mehr mit der Regierung der drittgrößten Volkswirtschaft Europas in Verbindung gebracht wird. Immerhin, Frau Merkel scheint den jüngsten Rückschlag für den europäischen Sanierungsprozess mit mehr Fassung zu tragen als so mancher Investor. Der Terminkontrakt italienischer Staatsanleihen erlitt den größten Tagesverlust seiner Geschichte. Die Rendite zehnjähriger Papiere stieg um mehr als ein halbes Prozent und die Aktienkurse in Mailand gaben kräftig nach. Auch der Rest Europas konnte sich der Verkaufswelle nicht entziehen.

Psychische Achterbahnfahrt

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In unserer Sentiment-Umfrage hat sich diese Verkaufsbereitschaft ebenfalls bemerkbar gemacht. Die von der Börse Frankfurt befragten institutionellen Anleger haben regelrecht Reißaus genommen. 13 Prozent der Händler flüchteten aus dem Bullenlager, 8 Prozent von ihnen haben sich zu den Bären, 5 Prozent zu den Neutralen abgesetzt. Dies ist die stärkste Verschiebung des laufenden Jahres.

Lässt man den vergangenen Montag noch einmal Revue passieren, wird die Angstreaktion der Anleger sofort verständlich: Bis Montagmittag stiegen die Kurse an den europäischen Aktienmärkten stetig an. Nach Schließung der Wahllokale stimmten dann die ersten Hochrechnungen mit den letzten offiziellen Prognosen, die 14 Tage zuvor veröffentlicht wurden, überein, da sie eine knappe Mehrheit für das Mitte-Links-Bündnis ankündigten. Am frühen Abend kam dann der Schock: Die Mehrheit im Senat ging knapp an das Berlusconi-Lager verloren – die Börsen rutschten tief ins Minus.

Einen solchen Verlauf der Dinge verarbeiten und empfinden Menschen nach einem Muster, dass sich verheerend, aber immerhin vorhersehbar auf ihr Verhalten auswirkt. Die schönen Kursgewinne, an denen sie sich bis zum frühen Nachmittag erfreuten, wurden ihnen schlagartig weggenommen. Und Letzteres wiegt mental gut doppelt so stark, wie das zuvor wahrgenommene Gewinnerlebnis.

Unser Bull/Bear-Index zeigt nun den zweitniedrigsten Optimismus des Jahres an. Die jüngsten Verkäufe und Absicherungen dürften demnach einen beträchtlichen Umfang gehabt haben. Daran gemessen hat der DAX aber nicht allzu viel bullishes Terrain abgegeben. Mit anderen Worten: Nachfrage nach DAX-Werten ist auch außerhalb Deutschlands noch immer reichlich vorhanden.

 © 27. Februar 2013/Gianni Hirschmüller, cognitrend

Verhältnis Optimisten zu Pessimisten

  Bullish Bearish Neutral
Total 42 % 28 % 30 %
ggü. letzter Erhebung -13 % +8 % +5 %

 

Institutionelle Anleger: Stimmungs- und DAX-Verlauf
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  • Stand DAX (27. Februar): 7.610 Punkte (-1,97 % gegenüber der letzten Erhebung)
  • Stand Bull/Bear-Index: 57,8 Punkte

Verhältnis Optimisten zu Pessimisten

Mit Unterstützung von
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  Bullish Bearish Neutral
Total 58 % 28 % 14 %
ggü. letzter Erhebung -4 % +4 % +0 %

 

Private Anleger: Stimmungs- und DAX-Verlauf
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  • Stand DAX (27. Februar): 7.610 Punkte (-1,97 % gegenüber der letzten Erhebung)
  • Stand Bull/Bear-Index: 65,8 Punkte

Weiterführende Links

Vorsicht war angebracht

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Goldberg

Dass die Optimisten bei der vergangenen Stimmungserhebung der Börse Frankfurt sehr vorsichtig und nur halbherzig bei der Sache gewesen sind, scheint sich im Nachhinein als die richtige Strategie herausgestellt zu haben. Denn wir konnten vor einer Woche noch feststellen, wie die Prognosen dieser Marktteilnehmer deutlich hinter der tatsächlichen Entwicklung des DAX zurückgeblieben waren und selbst neutral eingestellte Akteure für den Aktienmarkt nicht viel Platz nach oben sehen wollten. Ganz anders die Pessimisten, deren Hartnäckigkeit sich per Saldo auszahlen sollte.

Allerdings fiel das Börsenbarometer nur so stark, dass es gerade einmal die Oberseite des Prognosebandes touchierte. Die Ursache hierfür: Deutlich gewagtere Prognosen der Bären. Diese ungleiche Verteilung der Vorhersagen wurde mit der heutigen Erhebung allerdings wieder zurechtgerückt. Bullen wie Bären passten dabei ihre neuen Vorhersagen nicht einmal um 1 Prozent nach unten an, während der DAX während des gleichen Zeitraums immerhin 1,9 Prozent im Punktvergleich an Wert verlor.

   Median höchster Wert* tiefster Wert* Streuung
Bullen 7.850 / -60 8.025 7.730 150 / +20
Bären 7.345 / -55 7.460 7.120 170 / -30
Neutrale 7.600 / -80 7.690 7.555 70 / +/-0

* = eine Standardabweichung vom Mittelwert aller Kursprognosen.

Marktbereinigung

Einzelwertanalyse

Untersucht werden die Aktien, die für Bullen und Bären derzeit die größten Favoriten darstellen, also die mit der besten erwarteten Entwicklung und die mit der schlechtesten.

Allerdings fällt auf, dass der Zentralwert der Pessimisten mit 7.345 DAX Punkten nur um 55 Zähler gefallen ist, die Abweichungen der Prognosen nach unten von diesem Wert jedoch fast doppelt so groß wie die erste Standardabweichung nach oben ausgefallen ist. Möglicherweise sind die neu hinzugekommen Pessimisten wegen des zunächst unklaren Ausgangs der Wahlen in Italien recht spät in den Markt hineingekommen. Immerhin ist das Vertrauen innerhalb dieser Gruppe in die eigenen Prognosefähigkeiten gestiegen.

Derartiges kann über die verbliebenen Optimisten indes nicht gesagt werden, deren Selbstvertrauen naturgemäß etwas gesunken ist. So sollte es auch nicht weiter erstaunen, wenn deren mittlere Prognose mit dem Einbruch des DAX während des Berichtszeitraums nicht mithalten konnte und lediglich um 60 Zähler auf 7.850 nachgab. Zumal dieser Investorenkreis auch die Aufwärtsbewegung der Vorwoche nur teilweise nachvollziehen konnte. Somit ist der Markt prognosetechnisch fast verzerrungsfrei.

DAX-Gewinner und -Verlierer: E.ON gibt deutliche Führung bei den Tops ab

Dass die Akteure im Vergleich zu den vergangenen Wochen hinsichtlich des Aufwärtstrends deutscher Aktien erheblich vorsichtiger geworden sind, spiegelt sich auch in der Liste der beliebtesten deutschen Aktien wider. Dort hat nämlich E.ON offenbar die Investoren enttäuscht und seinen in der Vorwoche noch massiven Vorsprung eingebüßt, wodurch die Spitzengruppe der Gewinner deutlich zusammengerückt ist. Hier tauchen mit einem mal VW auf, für die sich immerhin 8 Prozent der befragten Anleger entscheiden konnten und die damit den bisherigen Favoriten E.ON sogar überholen konnten. Fast gleichauf liegen BASF, während die Bankwerte, aber auch die Aktien der Deutsche Börse nur im Mittelfeld liegen.

Die Verkaufsliste wird nach wie vor mit deutlichem Vorsprung von der Commerzbank angeführt (fast ein Fünftel der Befragten), gefolgt von der Deutschen Bank und den seit Wochen geschmähten ThyssenKrupp. Lufthansa konnten sich indes aus dem negativen Fokus herausstehlen und sind zuletzt in der Wahrnehmung der Vermögensverwalter unauffällig geblieben. Kein Interesse – im Positiven wie im Negativen – konnten Adidas, Continental und Lanxess auf sich ziehen.

 © 27. Februar 2013/Joachim Goldberg, cognitrend

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