Markttechnik: „Die Ersten schleichen wieder zurück“

13. Juli 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die erneute Verschärfung der Schuldenkrise in der Eurozone hat die Aktienmärkte am Dienstag ins Schwanken gebracht. Als eine Aneinanderreihung von Snap-backs – Zurückschnapper in beide Richtungen – interpretieren Analysten die Bewegungen und sehen den Markt zudem auf wackligem Boden. Am Mittwochmittag liegt der DAX bei 7.223 Punkten nahezu 1 Prozent im Plus.

Rutsche nach unten


Schmidt

Das Marktgeschehen am gestrigen Dienstag klassifiziert Christoph Schmidt, Analyst bei N. M. F., als panikartig, was man sowohl an den impliziten Volatilitäten, als auch den Credit Spreads gesehen hätte. Die Volatilität ist gemessen am VDAX-New zwischenzeitlich auf 25 Prozent geschnellt, derzeit bei gut 21 Prozent sei sie immer noch leicht erhöht. Die Credit Spreads – Prämien für höhere Risiken im Anleihenmarkt – wären für italienische Papiere im Tagesverlauf auf 370 Stellen gestiegen, der BTB-Future, das italienische Pendant zum Bund-Future, sei zwischenzeitlich auf 98 Prozent gefallen. „Flucht in die Sicherheit“, diagnostiziert Schmidt. Der Markt spiele die Pleiten.

Credit Spreads werden in Basispunkten ausgedrückt. Trotz der Heftigkeit: „Die Bewegungen spielen sich immer noch im Bereich der Nachkommastellen ab“, erklärt Schmidt. Erst ab 2.000 Basispunkten sei eine Entwicklung nachhaltig.

Der Markt schnappe zurück und übertreibe dabei zu beiden Seiten, fasst Schmidt zusammen. „Wenn alle durch eine Tür wollen, kommt nichts mehr nach und relativ schnell schleichen die ersten wieder zurück.“ Im Verlaufe des Tages hätte sich die Situation wieder beruhigt, es wären auch Gerüchte aufgekommen, die EZB hätte unterstützend eingegriffen. Der BTB-Future hat am Abend bei 102,70 Prozent geschlossen. „Das hat man heute auch an der geringen Reaktion auf die Herabstufung Irlands gesehen.“ Es gebe jedoch insgesamt keinerlei Basis für Normalität.

Die Analysten von Metzler sehen im Wechselkurs des Euro zum Schweizer Franken das sensibelste Barometer für die Schuldenkrise. In diesem Sinne unterstützt das Währungspaar das von Schmidt skizzierte Szenario, denn der Euro ist auf ein Allzeittief bei 1,1553 Schweizer Franken gefallen.

Kurzfristig düster

Rocco Graefe von godmode-trader.de sieht den DAX zur Wochenmitte in einer Erholung, ausgehend von 7.000 Punkten, gibt dem Index aber wenig Chancen, deutlich über 7.250 Punkte zu steigen. Vielmehr erwartet er, dass die deutschen Bluechips zum Wochenschluss bis 6.900 fallen könnten. Nur ein Tagesschluss oberhalb 7.275/7.300 signalisiere Positiveres.

Längerfristiger Abwärtsimpuls


Deppermann

Der technische Analyst der BHF-Bank, Klaus Deppermann, kommt angesichts einer „sehr negativen Charttechnik an den europäischen Aktienmärkten und der zyklischen Indikatoren“ zu einem „klar negativen“ Votum für die europäischen Aktienmärkte. Für den DAX würde sich die Lage erst deutlich verbessern, wenn der Index die Hochs vom 7. Juli bzw. 8. Juli bei 7.523 Punkten knacken könnte.

Deppermann interpretiert die jüngste Kursentwicklung als Abwärtsimpuls im Anschluss an eine monatelange Topbildungsphase. Das Verlaufsmuster der vergangenen Wochen ähnele dabei sehr dem der letzten Monate in 2007.

Insbesondere auch die zyklischen Indikatoren sprächen bereits seit einiger Zeit für eine längere Schwächeperiode bis ins vierte Quartal 2011, wobei die erste Abwärtswelle jedoch bereits Ende Juli beendet sein könne.

Im Hinblick auf die Marktstimmung sieht Deppermann Widersprüche. Einerseits fielen die von der Eurex berechneten Put/Call-Ratios bemerkenswert hoch aus, was auf einen hohen Absicherungsbedarf hindeute. Die Meinungsumfragen der Börse Frankfurt und von Sentix deuteten andererseits auf einen erstaunlich beständigen Optimismus für die nächsten Wochen hin. Der technische Analyst leitet „aus diesem seltenen ‚Gemisch‘ von Sentimentindikatoren nach wie vor keine Zuversicht für die Aktienmärkte ab.“

Bleibendes Zutrauen

Passend zu der Einschätzung Deppermanns erweist sich auch heute der Anlegeroptimismus als auffallend stabil angesichts der Kursschwankungen im DAX. Von den an diesem Vormittag durch die Börse Frankfurt befragten Anleger haben 4 Prozent ihre Long-Engagements in deutschen Bluechips verkauft, ebenfalls 4 Prozent sind short gegangen. Das bringt den Bull/Bear-Index auf optimistische 61,1 Prozent.

Heftiger ist die Reaktion im TecDAX ausgefallen. Hier haben sich 10 Prozent der Befragten von ihren Aktien getrennt und 7 Prozent Leerverkäufe getätigt. Der TecDAX-Bull/Bear-Index ist mit 55 Prozent aber ebenfalls noch im bullishen Bereich.

Der Bull/Bear-Index misst das Maß an Optimismus im Markt. Dafür werden die Optimisten ins Verhältnis zu den Pessimisten gesetzt und mit den neutral Gestimmten gewichtet. Werte unter 50 Punkte zeigen eine pessimistische Gesamtstimmung der Anleger.

Eine Analyse der heutigen Erhebung seitens Cognitrend können Sie ab 17 Uhr bei boerse-frankfurt.de/sentiment lesen.

© 13. Juli 2011/Edda Vogt