Markttechnik: Wachsende Widerstände

8. Juni 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Ob und, wenn ja, wann sich die mittelfristigen Vorzeichen für den DAX ändern werden: das sind einige der Fragen, mit denen technische Analysten sich derzeit beschäftigen. Konjunkturell sei der Aufschwung in Deutschland ungebrochen, auch wenn auf Monatsbasis die Industrieproduktion im April ein Minus von 0,6 aufgewiesen habe. Darauf deuteten der Helaba zufolge die unerwartet kräftig erholten Auftragseingänge der hiesigen Industrie.

Keine Unterstützung bekommt der deutsche Leitindex von den jüngsten Konjunkturdaten aus den USA. Nach Einschätzung der Helaba-Analysten werde der am Mittwoch anstehende US-Konjunkturbericht, das so genannte Beige Book, jüngsten Daten Rechnung tragen müssen. Demnach entwickele sich die US-Wirtschaft in einem nur moderaten Tempo und stelle gar das Thema einer Exit-Strategie aus der ultralockeren Geldpolitik wieder in Frage.

Das werde auch Spekulationen über mögliche Zinserhöhungen in Nordamerika erneut in den Hintergrund schieben. Marktteilnehmer rechnen nun erst später im Jahr 2012 mit einem möglichen Zinsschritt. Diese Entwicklungen hätten die großen US-Indizes zuletzt unter Druck gesetzt. Technisch habe etwa der Nasdaq Composite Index bereits die Trendwende vollzogen und zeigt laut HSBC Trinkaus & Burkhardt erst einmal gen Süden.

DAX-Richtungsentscheidung steht noch aus

Meier
Meier

Eine gute und eine weniger gute Nachricht für die weitere Entwicklung des deutschen Leitindex erkennt Jana Meier in der aktuellen Chart-Formation. Auf der Positivseite verbucht die technische Analystin von HSBC Trinkaus & Burkhardt die massive Unterstützungszone aus der Nackenlinie einer potentiellen Schulter-Kopf-Schulter Formation bei aktuell 7.099 Punkten. „Zusammen mit einigen Hochs und Tiefs zwischen dem Dezemberhoch bei 7.088 Zählern und dem zyklischen Tief vom April bei 6.995 Punkten hält der DAX dem Angriff der Bären derzeit zwar noch stand“, erkennt Meier. Bei einem nachhaltigen Einbruch unter diese Haltemarken gelte die obere Umkehrformation aber als komplettiert. „Dann würden sich die mittelfristigen Perspektiven für den DAX eintrüben“, sagt die technische Analystin voraus. In dem Fall rückten das Cluster aus dem langfristigen Aufwärtstrend seit 2009 und die 200-Tageslinie bei aktuell 6.933 bzw. 6.899 in den Fokus.

Von einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation spricht man, wenn der Chart zunächst einen kleinen Hochpunkt markiert, auf den nach einem leichten Kursrückgang ein deutlich höheres Hoch folgt. Anschließend gibt es nach einem neuerlichen vorübergehenden Rückgang wiederum einen kleineren Hochpunkt. Insgesamt sieht der Chart damit einem menschlichen Profil von linker Schulter, Kopf und rechter Schulter ähnlich. Eine solche Formation weist auf eine bevorstehende Trendumkehr von einem längerfristig gestiegenen zu einem fallenden Kurs.

„Allerdings sind die Fortschritte nach oben zuletzt ausgeblieben“, erklärt Meier. „Und die angeführte Unterstützungszone konnte bisher nicht als Sprungbrett für einen neuerlichen Aufwärtsimpuls genutzt werden.“ Aus der derzeitigen Gefahrenzone könne sich der DAX nachhaltig befreien, wenn es gelänge, die Abwärtslücke vom 2. Juni bei 7.156 bzw. 7.194 Punkten zu schließen. „Diese Lücke entpuppt sich vermutlich aber als zäher Brocken“, glaubt Jana Meier. Denn hier verlaufe auch die 90-Tage-Linie bei 7.190 Punkten, und im unmittelbaren Anschluss stünden mehrere Hochs zwischen 7.217 und 7.243 Zählern im Weg. „Sollte der DAX die Hürden erfolgreich nehmen, kann die Fährte des bisherigen Jahreshoch von 7.600 Punkten wieder aufgenommen werden“, sagt Meier voraus.

Kurzfristige Erholung nicht ausgeschlossen

Für Dirk Oppermann hat sich die derzeitige Korrekturphase im deutschen Leitindex erst einmal bestätigt. Auszumachen sei es am Scheitern des DAX, erneut die Marke von 7.240 Punkten zu erobern. Nach den deutlichen Kursverlusten von Mittwoch und der vergangenen Woche gehe es nun darum, die nächsten Haltelinien nicht zu unterschreiten. „Die Indikatoren weisen auf einen Test der 200-Tage-Linie bei aktuell 6.880 Zählern“, sagt der technische Analyst der DZ Bank voraus. Obwohl die mittelfristigen Kursrisiken bestehen blieben, könne es auch kurzfristig wieder Luft nach oben geben.

Nasdaq hat Trendwende vollzogen

Verkaufssignale liest Jana Meier aus den aktuellen technischen Charts des Nasdaq Composite Index. Der Versuch des viel beachteten US-Index, den bisherigen Aufwärtstrend seit August 2010 bei aktuell 2.850 Punkten zurückzuerobern gelte erst einmal als gescheitert. Auf Wochenbasis wäre bei Überschreiten dieser Widerstandszone sowie dem Anknüpfen an die Hochs vom Oktober 2007 und Januar 2001 bei 2.862 bzw. 2.892 Punkten eine mehr als zehnjährige Bodenbildung abgeschlossen worden. „Diese Formation scheint nun aber erst einmal vom Tisch“, bemerkt die Analystin. „Der daraus resultierende Rückzug bestätigt den Bruch dieser Trendlinie und richtet den Blick nun gen Süden.“ Zudem sei die Nackenlinie einer Schulter-Kopf-Schulter Konstellation bei aktuell 2.751 Zählern unterschritten, womit die Trendwende technisch vollendet worden sei.

Kalkulatorisch gebe es ein Abschlagspotenzial von rund 130 Punkten. „Damit würden nicht nur die Haltezonen aus mehreren Tiefs bei 2.707 bzw. 2.677 Punkten in die Knie gezwungen“, erklärt Meier die aktuelle Chart-Formation. Ins Blickfeld rückte zudem das Unterstützungscluster bestehend aus der 200-Tages-Linie bei aktuell 2.621 Punkten, dem bisherigen Jahrestief sowie dem Novemberhoch 2010 bei 2.604 bzw. 2.593 Zählern. „Danach wartet bereits das Verlaufshoch vom April 2010 bei 2.535 Zählern“, bemerkt die Analystin von HSBC Trinkaus & Burkhardt. Das deute aus technischer Sicht kaum auf eine baldige Stabilisierung.

Pessimisten übernehmen das Ruder

Die Anleger zeigen in dieser Woche eine Abkehr vom Bullen für den Bluechip-Index. Mit 48,9 Prozent sinkt der DAX-Bull/Bear Index unter die 50 Prozent-Marke, die Optimismus und Pessimismus trennt. 12 Prozent der Befragten wechselten auf Wochenbasis vom Bullenlager zur Bärenfraktion. 39 Prozent der Befragten sind short und befinden sich gegenüber den 37 Prozent der optimistischen Befragten in der Überzahl.

Einbußen in Sachen optimistischem Ausblick muss auch der TecDAX hinnehmen. Mit einem Bull/Bear-Index von 52,1 Prozent liegt die Stimmung für den Technologieindex insgesamt zwar weiterhin im positiven Bereich. Im Vergleich zur Vorwoche haben 7 Prozent das Bullenlager zugunsten der Bären und neutral gestimmten Befragten verlassen.

Der Bull/Bear-Index misst das Maß an Optimismus im Markt. Dafür werden die Optimisten ins Verhältnis zu den Pessimisten gesetzt und mit den neutral Gestimmten gewichtet. Werte unter 50 Punkte zeigen eine pessimistische Gesamtstimmung der Anleger. Was es bedeutet, können Sie ab 17 Uhr bei boerse-frankfurt.de/sentiment lesen.

© 8. Juni 2011 / Iris Merker