Roth: "Es fährt ein Zug nach nirgendwo"

1. September 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Paris und Berlin sind sich einig: Eine Art von gemeinsamer Wirtschaftsregierung soll kommen. Die europäische Schuldenbremse soll kommen. Und eine Finanztransaktionssteuer soll auch kommen. Doch über Details schweigt man sich aus und dass ein Papiertiger versprochen wird, liegt nahe. Ist das die rettende Weichenstellung für den Eurozug?

Entweder großer Bahnhof oder ausrangieren auf dem Abstellgleis, heißt es für den Eurozug. Wohin die Gleise uns einmal führen werden, ist derzeit nur zu erahnen. Der Euro kommt aus der Krise nicht heraus. Es mangelt dabei nicht an Rettungsvorschlägen. Ganz und gar nicht. Es gibt sogar zu viele Vorschläge und es wird zuviel durcheinander geredet. Die europäischen Politiker können sich nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen. Das ist das Problem. Der Eurozug ist in großer Gefahr, auseinander gerissen zu werden oder zu entgleisen, weil die Mitgliedsstaaten uneinig sind. Da fährt Deutschland als Lokomotive mit ihrem Partner Frankreich im Schlepptau vorne weg, ohne allerdings eine rettende Weichenstellung bisher vornehmen zu können. Im Mittelteil des Zugs fahren die Wagons noch relativ ruhig in der Spur und können mit dem dynamischen Duo gerade noch mithalten. Aber am Ende wackeln Wagons bereits merklich und drohen zu entgleisen. Der letzte Wagon „Griechenland“ wird kaum mehr zu retten sein. Die instabile Lage des hinteren Teils kann den gesamten Eurozug in die Katastrophe führen.

Die Schuldenkrise der Industrieländer hat nicht nur die Börsen fest im Würgegriff. Sie setzt langsam aber sicher auch der europäischen Realwirtschaft zu und beginnt auch die gesamte Weltwirtschaft zu paralysieren. So kann aus einer kleinen Konjunkturdelle schon schnell eine handfeste Rezession entstehen. Viele Ökonomen befürchten bereits ein solches Szenario in den Industriestaaten und genau davor knicken aktuell die Börsen ein. Und Euroland hat nicht „nur“ eine Schuldenkrise, sondern auch noch eine Währungskrise. Wenn die Schuldenlage nicht stabilisiert wird, scheitert der Euro. Vor kurzem haben Frau Merkel und Herr Sarkozy einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Eine Wunschliste. Man schlägt eine gemeinsame Wirtschaftregierung vor. Gut und schön. Man erkennt endlich, dass die Mitgliedsstaaten finanz- und wirtschaftspolitisch näher zusammenrücken müssen. Aber der Teufel liegt im Detail. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste diese europäische Anpassungsbehörde aber mit mächtigen Vollmachten versehen werden, um die notwendigen Maßnahmen auch durchsetzen zu können. Ein Verlust von Souveränitätsrechten für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Nationalstaaten wäre die logische Folge. Dazu ist offensichtlich noch immer nicht jeder bereit.

Eine neue Bremse für den europäischen Schuldenzug soll eingeführt werden. Nach dem Vorbild Deutschlands. Die europäische Neuverschuldung soll dadurch deutlich eingeschränkt werden. Die Idee ist gut, aber die Umsetzung muss dann auch wasserdicht sein. Eine Schuldenbremse muss unabhängig von künftigen parlamentarischen Mehrheiten. Doch genauso wichtig wie die Einführung der Schuldenbremse, wäre die anschließende Kontrolle über die Einhaltung dieser „Spar“vorgaben und eine strenge Sanktionierung im Falle von Verstößen. Wer nicht hört, muss fühlen.

Der Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer stehe ich hingegen kritisch gegenüber. Diese Art von Börsenumsatzsteuer mag zwar für den Staat eine lukrative neue Einnahmequelle sein, aber sie hat rein gar nichts mit dem Thema Schulden und Euro zu tun und wird diese Probleme auch nicht lösen. Bei der Finanztransaktionssteuer handelt es sich um eine Umsatzsteuer auf Börsenumsätze. Diese würden von Marktteilnehmern wie Banken, Hedge Fonds, Pensionsfonds u.v.a zunächst gezahlt. Diese Kosten würden aber an die Kundschaft weitergeben werden. Also zahlt zuletzt wieder der Bürger die Rechnung. Wenn man eine neue Einnahmequelle für den Staat dennoch befürwortet, dann muss sich im Klaren darüber sein, dass nur eine globale Einführung wirklich Sinn macht. Eine derzeit geplante Börsensteuer in der Eurozone wäre das falsche Signal. Denn sonst ziehen wieder Gelder ins Ausland, die man dringend für Investitionen in Euroland braucht. Auch Großbritannien würde sich dabei sicher ins Fäustchen lachen, denn das Land wäre sicherlich nicht dabei.

Der Eurolandzug ist mächtig ins Schlingern gekommen. Einige Experten fordern seit geraumer Zeit, die hinteren Problem-Wagons abzukuppeln und sich selbst zu überlassen. Andere wiederum halten das bereits für das Ende der Eurozone. Sollte die Politik nicht zügig den Erwartungen, die man mit den aktuellen Vorschlägen geweckt hat, entsprechen und die überfälligen Synchronisierung der Euroländer vorantreiben sowie die Neuverschuldung begrenzen, dann bleibt nichts anderes mehr übrig, als die hoffnungslosen Fälle vom Zug zu lösen und die Eurozone mit weniger Mitgliedern weiterfahren zu lassen. Wenn es dazu nicht jetzt schon zu spät ist.

© 1. September 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.

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