Roth: "Lagebesprechung: Konjunkturangst und Carry Trades"

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26. Mai 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Rohstoff- und Aktienmärkte werden derzeit richtig durchgerüttelt. Der DAX verlor in wenigen Wochen über 5 Prozent. Das ist noch moderat zu nennen, wenn man sich dagegen die Panik an den Rohstoffbörsen vor Augen hält. Dort verlor beispielsweise Silber bis zu 30 Prozent innerhalb kürzester Zeit. Der Grund dafür sind plötzliche Sicherheitsstrategien der Investoren. Ganze Kapitalströme verändern spontan die Richtung. Was verursacht diese Unsicherheiten? Und wie geht es weiter?

Es gibt derzeit zwei Hauptgründe für die Lage an den Finanzmärkten:

Rohstoffausverkauf

Die Rohstoffmärkte erlebten lange Zeit einen nicht gekannten Auftrieb. Weizen, Mais und Öl stiegen innerhalb kürzester Zeit auf Höchstniveau. Die Rohstoffhausse war in aller Munde und Silber die größte Erfolgsstory. Bis zu 80 Prozent stieg der Wert des weißen Goldes innerhalb weniger Monate an. Die Angst vor Inflation und Papiergelderosion trieb den Preis bis zu einem Dreißigjahreshoch. Doch am 2. Mai fand dieser Aufwärtstrend ein jähes Ende. Der Silberpreis stützte alleine an diesem Tag um 9 Prozent ab. Weitere verlustreiche Tage folgten.

Die Gründe dafür waren zum einen eine Erhöhung der Sicherheitseinlagen an der US-Börse COMEX für Silber-Termingeschäfte. Die so genannten Margins sind Anzahlungen, die man bei Termingeschäften pro Deal hinterlegen muss. Investoren müssen also nicht die volle Summe sofort bezahlen, sondern brauchen zunächst bei ihren Rohstoffwetten nur einen kleinen Teil hinterlegen. Eine Erhöhung der Margins bedeutet, dass viele Spekulanten nun mehr Geld für ihre Wetten aufwenden müssen. Das verleitete besonders kleine Anleger, nach goldenen Wochen, sich aus dem heißgelaufenen Silbermarkt zu verabschieden. Der Beginn eines Dominoeffekts, der sich erst jetzt langsam abbremst. Auch an anderen Rohstoffbörsen wurden Marginerhöhungen diskutiert und das führte zu weiterer Unsicherheit unter den Spekulanten.

Zum anderen nehmen die Sorgen um die Weltkonjunktur zu. Chinas Wirtschaft droht zu überhitzen. Die Inflation steigt gefährlich an, was mit weiteren Zinserhöhungen beantwortet werden wird. Amerikas Wirtschaft kommt erst gar nicht auf die Beine. Da könnte die scheinbar eingepreiste Abbremsung der Weltökonomie zusätzliche negative Wucht entfalten. Da Rohstoffpreise aus Spekulation und aus der Nachfrage entstehen, sind diese Konjunktursorgen ein weiterer Grund für Spekulanten, Gewinne mitzunehmen.

Carry Trades Euro/Dollar

Angloamerikanische Zinsspekulationen sorgten in den letzten Monaten für einen starken Euro. Nicht so sehr die Wirtschaftsstärke Europas im Allgemeinen und von Deutschland im Besonderen saugte frisches Kapital auf den Kontinent. Viel mehr sind Euro-Zinsphantasien die Ursache der Spekulation. Die US-Wirtschaft im Entengang mit der Null-Zins-Politik auf dem Rücken jenseits des Atlantiks und ein in Teilen prosperierendes Europa mit steigenden Zinsen diesseits des Atlantiks. Da bieten sich Zinsdifferenzgeschäfte doch an.

Doch die kurzfristigen Gewinnerwartungen der Spekulanten lösten sich am 5. Mai in Luft auf. Die EZB-Sitzung mit dem Ergebnis unveränderter Leitzinsen und mit gleich belibendem Ausblick löste Carry Trades aus. Das sorgte für Bestandsauflösungen an den Aktienmärkten. Der US-Dollar wurde wieder gekauft und der Euro verlor stark an Wert. Dazu kamen neue Spekulationen um Griechenlands zeitnahe Umschuldung, was den Euro zusätzlich schwächte.

Die Auflösung von Carry Trades, ausgelöst durch die Eurokrise in Griechenland und unveränderte Zinsen in der Eurozone sorgte für herbe Verluste an den Börsen. Die Erhöhung der Spekulationskosten an den heißgelaufenen Warenterminmärkten und neue Sorgen über die Entwicklung der Weltökonomie ließen die Rohstoffbörsen nach runter rauschen. Doch einige der Gründe, die für die Korrektur verantwortlich waren, werden auch die Börsen wieder anschieben. Die niedrigen Zinsen lassen Rentenmärkte unattraktiv erscheinen. Die Zinsdifferenzen zwischen Euro und Dollar werden wieder größer. Zinserhöhungen sind zwar stetig aber nur langsam in Euroland zu erwarten. Das wird wieder Kapital ansaugen. Denn die USA bleiben außen vor. Solange die Zinsen so niedrig bleiben, gibt es keine Alternativen zum Aktienmarkt. Doch die Zeit wird kommen, wo uns entweder ein externer Schock vom Podest stößt oder uns Zinserhöhungen den Gar ausmachen. Noch ist es nicht soweit. Die Märkte beruhigen sich schon wieder. Und Profis kaufen bereits wieder Aktien. Die Hausse ist noch nicht vorbei.

© 26. Mai 2011/Oliver Roth

* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.

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