Halvers Woche: An den Aktienmärkten ist die Hoffnung wieder zurück

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31. Oktober 2014. MÜNCHEN (Baader Bank). Selbst die deutsche Wirtschaft ist keine Insel der Wachstumsglückseligkeit mehr. Zum sechsten Mal in Folge trübte sich der ifo Geschäftsklimaindex zuletzt auf 103,2 nach 104,7 im Vormonat ein. Zudem signalisieren die ifo-Geschäftserwartungen für die deutsche Industrie mit einem Rückgang auf 98,3 – dem tiefsten Stand seit Dezember 2012 – auch zukünftig schwieriges Fahrwasser.

Jedoch ist zu vermuten, dass das zeitgleiche Aufeinandertreffen vieler Krisen übertriebene Befürchtungen vor einer Wirtschaftsabkühlung begünstigt hat. Fakt ist, dass die US-Wirtschaft wieder deutlich an Stärke gewinnen konnte und die Schwellenländer weiter erfolgreich ihre Binnenkonjunkturen aufbauen. Nicht zuletzt haben u.a. die Automobilwerte Daimler und Volkswagen sowie Bayer positive Ausblicke im Rahmen der Berichtsaison geliefert.

Die Verbesserung der Standortbedingungen bleibt jedoch eine Bringschuld der Großen Koalition, die sich diesem Thema bislang nicht im Ansatz ausreichend gewidmet hat. Sie muss den Reformprozess als Dauerschleife betrachten und darf sich nicht auf den Lorbeeren früherer Regierungen ausruhen. Die Tatsache, dass deutsche Großkonzerne lieber in den USA als in Deutschland investieren, ist ein erstes Alarmzeichen.

Kreditvergabe klares Rezessionssignal

Symptomatisch für das Siechtum der Euro-Wirtschaft ist die seit 2012 im Vorjahresvergleich rückläufige Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen. Dieses fatale Bild unterstreicht auch die mit 0,4 Prozent kaum noch vorhandene Inflation in der Eurozone insgesamt.

Hoffnung verspricht der mittlerweile abgeschlossene EZB-Bankenstresstest. Insgesamt könnten die Banken zukünftig grundsätzlich weniger zurückhaltend bei der Kreditvergabe agieren, da die stressbedingte Schonung der Eigenkapitalreserven nicht mehr erforderlich ist. Unterstützend wirken hier auch die weiteren Aufgaben der EZB. Ihr obliegt ab 4. November die Oberaufsicht über rund 130 systemrelevante euroländische Banken im Rahmen der Bankenunion. Liquiditätsproblemerkennung und deren Beseitigung liegen dann in Personalunion bei der EZB.

Liquiditätspolitik der EZB – Von Amerika lernen, heißt siegen lernen?

Jedoch weiß die EZB, dass sie die Kreditvergabe angesichts der schwachen Euro-Konjunktur nicht erzwingen kann. Daher greift sie zu einem Instrument, das bereits in den USA erfolgreich war: Die EZB hat in der vergangenen Woche mit dem Aufkauf von Pfandbriefen im Volumen von 1,7 Mrd. Euro begonnen und wird ihre Aufkäufe in Kürze auch auf kreditbesicherte Wertpapiere (ABS, d.h. Asset Backed Securities) ausweiten. Sie beabsichtigt, ihre aktuelle Bilanzsumme mindestens auf den Rekordstand von Juli 2012 zu erhöhen, was einer Liquiditätsausweitung von einer Billion Euro entspricht. Öffentlich wird sogar bereits über den Aufkauf auch von Unternehmensanleihen nachgedacht. Die Absicht der EZB besteht darin, die Banken – befreit von Kreditaltlasten – zu animieren, neue Kredite zu vergeben. Sie sollen in einen Liquiditätsrausch versetzt werden, der ihnen sozusagen keine andere Möglichkeit mehr lässt, als neue Kredite zu vergeben.

Oberste Priorität für die EZB ist es, einen Rückfall der Eurozone in die Rezession mit letztlich auch sozialen Zerfallserscheinungen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist auch der tatsächliche – und nicht nur der versprochene – Aufkauf von Staatsanleihen als Ursünde der Geldpolitik kein Tabu mehr. Die EZB sieht sich zu diesen Schritten gezwungen, da die Politiker mindestens in der Euro-Peripherie kein investitionsfreundliches Klima für Unternehmen schaffen.

Eine ähnliche Politik verfolgt die Bank of Japan. Sie gab zuletzt eine Ausweitung ihrer Anleihenaufkäufe von jährlich 60 bis 70 Bill. auf 80 Bill. japanische Yen (insgesamt umgerechnet 580 Mrd. Euro) bekannt, nachdem ihr Inflationsziel von zwei Prozent – ihre Prognose für die Kernrate der Inflation lag zuletzt bei 1,7 Prozent – zunehmend außer Reichweite gerät.

Geldpolitische Wende in den USA

Dagegen haben die USA den Kaltstart ihrer Wirtschaft bereits erreicht, so dass die US-Notenbank ihr seit September 2012 mit einem Gesamtvolumen von 1,6 Billionen US-Dollar laufendes Anleiheaufkaufprogramm „QE3“  jetzt planmäßig beendet hat. Damit wird zwar der US-Wirtschaft keine weitere Liquidität zugeführt. Jedoch wird auch keine abgezogen, da die Fed die Mittel fällig werdender Anleihen weiterhin reinvestiert. Betrachtet man allein das theoretische Kreditvergabepotenzial gemäß Überschussguthaben der US-Geschäftsbanken bei der Fed, ließe sich damit die gesamte US-Volkswirtschaft mehr als fünf Mal finanzieren.

Insgesamt bleibt die Liquiditätsausstattung der Finanzmärkte dramatisch hoch.

US-Zinswende auch Signal für eine Aktien-Wende?

Nach dem Ende der Liquiditätszuführung in den USA richtet sich der Fokus der Anleger auf die US-Leitzinswende. Die Fed zeigt sich mit der Entwicklung der US-Konjunktur, des US-Arbeitsmarkts und auch den mittelfristigen Inflationserwartungen immer zufriedener und lässt damit einen falkenhaften Unterton erklingen. Gleichzeitig entkräftet sie mit ihrem Nullzins-Bekenntnis für „geraume Zeit“ diesen Eindruck zwar wieder etwas, doch scheint nach heutiger Lesart die Zinswende im späten Frühjahr 2015 anzustehen. Dafür spricht auch, dass überraschend solide BIP-Wachstum im dritten Quartal von annualisiert 3,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal.

Die Aktienmärkte sehen die Vision der Zinswende offensichtlich gelassen. Einerseits sehen sie sie als Ausdruck wiedergefundener konjunktureller Stärke. Andererseits gehen sie nicht davon aus, dass die Zinserhöhungen eine kritische Schwelle überschreiten werden. Der vorhergehende Zinserhöhungszyklus zwischen 2004 und 2006, bei dem sich das Leitzinsniveau mehr als verfünffacht hatte und insofern mitverantwortlich am Bersten der Immobilienblase war, wird sich nicht wiederholen. Aus heutiger Sicht ist bis Ende 2017 zunächst nur von einer Zinsanhebung auf etwa drei Prozent auszugehen. Die US-Notenbank ist gezwungen, insbesondere auf die Schwellenländer Rücksicht zu nehmen, die bei zu hohen Zinsen in den USA unter Kapitalabzug leiden würden.

Dennoch ist zu hoffen, dass die Fed die Zinsen eher früher als später erhöht, damit Tatsachen geschaffen werden und sich so die „Zinserhöhungsangst“ als Verunsicherungselement aus den Anlegerköpfen zurückziehen kann.

Aktuelle Marktlage

Die Inflation der Krisen bleibt zwar ein grundsätzlicher Belastungsfaktor für die Aktienmärkte. Allerdings scheinen der schwer einschätzbare IS-Terror und Ebola die Aktienmärkte zwischenzeitlich weniger zu beeindrucken. Und die Einigung im Streit um Gaslieferungen zwischen der Ukraine und Russland scheint auch das Thema Energiesicherheit und diesen geopolitischen Konflikt etwas zu entspannen.

Damit ist der Anlegerfokus wieder stärker auf die Pro-Argumente an den Aktienmärkten gerichtet. Es setzt sich die Einsicht durch, dass sich die Euro-Staatsschuldenkrise nicht wiederholt und der Euro-Konjunkturkrise mit neuen Staatsschulden entgegengewirkt wird.

Nicht zuletzt sorgt die absehbare Zinswende in den USA für eine Dollar-Aufwertung gegenüber dem Euro. Die sogenannten Carry Trades – Aufnahme von zinsgünstigen Finanzmitteln in der Eurozone und Anlage in höherrentierlichen US-Anlagen – haben seit Frühjahr bereits wieder kräftig zugelegt. Dieser Effekt verstärkt sich selbst und sorgt für eine weitere, exportbegünstigende Abwertung des Euros.

Auch die neuerliche Liquiditätsoffensive der Bank of Japan hat zu einer Abwertung der japanischen Währung gegenüber dem US-Dollar geführt. Damit wird auch der Yen zu einer attraktiven Carry Trade-Währung für weltweite Anlagezwecke.

Seit 2013 haben sich italienische und spanische Aktien gegenüber deutschen relativ besser entwickelt. Das lag maßgeblich an der Beendigung der Staatsschuldenkrise durch die EZB und das gewaltige Nachholpotenzial dieser Aktienmärkte gegenüber Deutschland. Seit Sommer gewinnen deutsche Aktien jedoch wieder an relativer Stärke zurück. Die Aussicht auf eine wirtschaftspolitische Stabilisierung in der Eurozone und in der Weltwirtschaft insgesamt sowie die Hoffnung auf eine Lösung der Ukraine-Krise werden wieder als Pro-Argumente für deutsche Aktien gewertet. Dieser Prozess sollte sich fortsetzen.

Anlegersentiment und Charttechnik

Entsprechend sind die Kursschwankungen deutscher Aktien – abgebildet im VDAX-New – niedriger. Gemessen am aktuellen Volatilitätsniveau wäre für die nächsten 30 Tage mit einer theoretischen Schwankungsbreite im DAX zwischen etwa 9.775 Punkten nach oben und 8.750 nach unten zu rechnen.

Charttechnisch verläuft die erste Hürde im DAX bei 9.400 Punkten. Darüber warten weitere Barrieren im Bereich bei 9.510 Punkten. Im Falle einer erneuten Korrektur verlaufen erste Unterstützungen bei 9.200 und darunter bei 9.123 Punkten. Darunter treten die nächsten Haltelinien bei 8.900 sowie 8.690 Punkten in den Vordergrund. Weitere Unterstützungslinien bestehen schließlich zwischen 8.500 und 8.457 und am Jahrestief bei 8.354 Punkten.

Und was passiert in der KW 45?

Auf Unternehmensebene nimmt die deutsche Berichtsaison für das dritte Quartal 2014 Fahrt auf. Bei Lanxess gilt der Fokus dem neuen Programm zur Konzernrestrukturierung. Fresenius dürfte insbesondere aufgrund seiner Dialyse-Tochter Fresenius Medical Care vom schwächeren Euro profitiert haben. Der Euro wird auch Beiersdorf zugutegekommen sein. Die Deutsche Telekom profitiert von einer verbesserten Geschäftslage in den USA. Der Sportartikelhersteller Adidas dürfte unter den Verwerfungen des Russland-Geschäfts sowie der Schwäche in der Golfsparte gelitten haben. HeidelbergCement sollte von der fortschreitenden Erholung der US-Wirtschaft profitieren. Die Bilanzzahlen von Siemens halten keine negativen Überraschungen bereit, bergen aber im Ausblick für das kommende Jahr Enttäuschungspotenzial aufgrund eines schwachen Energie-Geschäfts. BMW könnte von einem verbesserten Produktmix und höheren Verkaufsvolumina in allen Regionen in Folge der stabilen Weltkonjunktur nutznießen. Ähnliches gilt für Continental, dass Rückenwind von der Ersatznachfrage in der Reifensparte erhält. Der Ausblick von Allianz dürfte insbesondere in punkto Asset Management nach dem Weggang von Bill Gross im Fokus stehen. Das Ergebnis der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft sollte keine Negativüberraschungen bereithalten. Der Commerzbank kommt der voranschreitende Konzernumbau zugute, die Ertragslage bleibt jedoch weiter angespannt.

Die Anleger dürften angesichts der Krisenpotenziale insbesondere darauf achten, in wie weit insbesondere die konjunkturzyklischen Unternehmen bereit sind, klare Ausblicke zu geben.

Aus Makroebene deuten in den USA der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe und wieder bessere Auftragseingänge in der Industrie auf eine robuste Verfassung der US-Industrie hin. Ebenso dürfte sich der US-Arbeitsmarkt stark präsentieren. Von dem Ergebnis der US-Zwischenwahlen dürfte kein Störfeuer für die Aktienmärkte ausgehen.

In der Eurozone dürfte die EZB auf ihrer Zinssitzung zunächst keine neuen Maßnahmen zur Verstärkung ihrer Liquiditätsoffensive beschließen. Die Rhetorik von EZB-Chef Draghi bleibt aber offensiv.

In Deutschland dürften die anstehenden Zahlen zu den Auftragseingängen in der Industrie, der Industrieproduktion und dem Export nach ihrer Schwäche im August darauf hindeuten, dass aus der Konjunkturdelle im dritten Quartal keine Konjunkturbeule wird.

von Robert Halver, Baader Bank AG
© 31. Oktober 2014

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