Hüfners Wochenkommentar: "Keine Rezession in der Weltwirtschaft"

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Huefner

14. Oktober 2015. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die zentrale Sorge auf der Jahrestagung des International­en Währungsfonds am letzten Wochenende in Lima (Peru) war die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft. Müssen wir uns auf eine Rezession einstellen? Oder kommen wir mit dem blauen Auge davon?

Abwegig ist die Frage nicht. Der IWF hat im Vorfeld der Ta­gung immer wieder auf eine deutliche Verlangsamung des Wachstums hingewiesen. Hauptgrund ist natürlich China. Aber auch eine Reihe von Schwellen- und Entwicklungslän­dern ist in Schwierigkeiten. Sie klagen über die niedrigen Rohstoffpreise. Sie haben Angst vor einer Zinserhöhung in den USA. Ein Problem sind vor allem die hohen privaten und öffentlichen Schulden in US-Dollar, die bei einer Auf­wertung der amerikanischen Währung nur noch schwer be­dient werden können. Schließlich haben schlechte Nach­richten aus einzelnen Unternehmen (unter anderem Glen­core, Volkswagen) aufgeschreckt.

So eine Stimmung kann sich gerade auf einer Tagung wie der in Lima, in der viele einflussreiche Leute auf engem Raum zusammen sind und miteinander reden, leicht hoch­schaukeln. Die englische „Financial Times“ befeuerte den Pessimismus, indem sie dem früheren US-Finanzminister Larry Summers eine ganze Sonderseite gab, um für seine skeptische Meinung zu werben.

Ich halte eine Rezession der Weltwirtschaft dennoch nicht für wahrscheinlich. Das wichtigste Argument: Die Lage in China und in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist nicht so schlecht, wie gesagt wird. In China scheint sich die Wirtschaft nach dem katastrophalen ersten Quartal wieder zu stabilisieren. Der Immobilienmarkt bessert sich. Die Nachfrage nach Autos zieht an, zum Teil auch durch die staatliche Förderung. Gemeinden verkaufen Grundstücke und investieren die daraus resultierenden Einnahmen in In­frastrukturmaßnahmen.

In den anderen Schwellen- und Entwicklungsländern ist die Situation auch nicht überall schlecht. Natürlich haben Brasi­lien und Russland erhebliche Probleme. Sie sind bereits in der Rezession und werden vermutlich auch im kommenden Jahr noch keine positiven Wachstumsraten erreichen. Auch die Türkei und Südafrika tun sich schwer. Andererseits steht Indien gar nicht so schlecht da. Es tut alles, um China je­denfalls in Sachen Wachstumsraten zu überholen (bei der absoluten Höhe des Sozialprodukts hinkt es natürlich noch weit hinterher).

Wachstum der Weltwirtschaft, ggü. Vorjahr
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Quelle: IWF

»Eine Rezession in den Schwellen- und Entwicklungsländern ist ein Problem für die Weltwirtschaft. Sie reicht aber nicht, um die ganze Welt nach unten zu ziehen.«

Selbst der IWF nimmt in seiner neuen Prognose für die Weltwirtschaft an, dass sich die Situation in den Schwellen- und Entwicklungsländern (ohne China) im kommenden Jahr verbessern wird. Die Zahlen des IWF sind, wenn ich das richtig sehe, besser als die vielfältigen verbalen Äußerung­en.

Ein zweiter Grund: Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind zwar groß. Sie sind aber nicht so groß, dass sie für sich genommen die Weltwirtschaft nach unten ziehen könn­ten. Es wird immer gesagt, dass ihre Wirtschaftsleistung in­zwischen mehr als die Hälfte des Weltsozialprodukts aus­macht (letzte Zahl des IWF 57 Prozent). Das sind aber kaufkraft­bereinigte Zahlen. Ich habe vor ein paar Wochen darauf hin­gewiesen, dass das der falsche Maßstab ist, um die Bedeu­tung der Dritten Welt für die globale Konjunktur darzustel­len. Dazu muss man die nominalen, unbereinigten Zahlen neh­men. Bei einer solchen Rechnung ist die Bedeutung der Emerging Markets sehr viel geringer. Sie liegt nur bei 40 Prozent. Ohne China gerechnet sind es sogar nur 25 Prozent.

Ein dritter Grund: Die Industrieländer stützen die Weltwirt­schaft. Die USA wachsen in diesem und dem nächsten Jahr um 2 Prozent bis 3 Prozent, Europa um 2 Prozent. Die Dynamik kommt in er­ster Linie von der Binnennachfrage, nicht vom Export. Des­halb fallen die schwächeren Lieferungen in die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht so stark ins Gewicht. In ein­zelnen Branchen und Unternehmen sieht das freilich anders aus. Der deutsche Maschinenbau beispielsweise hat dieser Tage bekannt gegeben, dass seine Produktion derzeit nicht wächst.

Schließlich: Die Rahmenbedingungen für die Weltkonjunktur (Zinsen, Liquidität, öffentliche Defizite) sind unverändert gut. Wenn sich die Wirtschaft stärker abschwächen sollte, wer­den Regierungen und Zentralbanken hier sicher noch nach­legen. Die Chinesen haben das schon angekündigt.

Unter diesen Umständen kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu einer Weltrezession kommt, bei der das globale Sozi­alprodukt überhaupt nicht mehr wächst (wie in 2009) oder nur noch um 2 Prozent zunimmt (wie in früheren Schwächepha­sen). Für ein solches Szenario müsste es noch schlimmer kommen. Es müsste beispielsweise eines der großen Schwellenländer wegen seiner Dollarverschuldung insolvent werden, es müssten mehrere Weltunternehmen in Pro­bleme kommen oder es müsste die Blase an den Finanz­märkten platzen.

Für Anleger

Für die Finanzmärkte ist eine stärkere Abschwächung des Wirtschaftswachstums ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite geht es den Unternehmen schlechter und sie verdienen weniger. Das ist nicht gut für Aktien. Auf der anderen Seite können Investoren aber damit rechnen, dass die Zentralbanken weitere Lockerungen beschließen. Das würde den Aktien helfen. In der Vergangenheit war die bes­te Zeit für die Aktien nicht die gute Konjunktur, sondern die Zeit, in der die Zentralbanken gegensteuern.

© Deutsche Börse AG, 14. Oktober 2015.

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011).

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