Hüfners Wochenkommentar: "Das ist dann das Ende der Welt"



Hüfner

29. September 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Eine solche Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds habe ich in den letzten zwanzig Jahren noch nicht erlebt. Da kommen alle wichtigen Zentralbanker, Finanzminister und Banker der Welt in Washington zusammen. Sie alle wissen, dass die Weltwirtschaft durch die Euro- und die Bankenkrise und durch die schwache Konjunktur auf des Messers Schneide steht. Alle sind pessimistisch. Ein Banker formulierte drastisch: Wir stehen vor dem Ende der Welt. Und was geschieht? Nichts. Es ist ein bisschen so, als fahre man mit dem Auto sehenden Auges gegen die Wand. Hier ein paar Impressionen von der Jahrestagung.

Bei der Bewertung von Stimmungen auf solchen Zusammenkünften muss man freilich vorsichtig sein. Es gibt auch eine Selbstverstärkung des Pessimismus. Der September, der Monat nach dem Urlaub, ist dafür erfahrungsgemäß besonders anfällig. Das Klima kann sich daher auch schnell wieder ins Positive drehen.
 

Andererseits hat die schlechte Stimmung einen Grund. Die Beteiligten können sich nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen. Die Amerikaner möchten alles dadurch lösen, dass sie die Märkte mit Liquidität fluten. Die Europäer setzen stattdessen auf Konsolidierung der Staatsfinanzen, eine disziplinierte Haushaltspolitik und speziell in der Eurokrise, auf eine stärkere politische Integration in der Währungsunion. Sie haben allerdings auch untereinander erhebliche Meinungsverschiedenheiten und können sich daher selbst in ihren Reihen nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen.

Die Schwellenländer schauen bei dem Streit genüsslich zu. Der türkische und der brasilianische Zentralbankpräsident schilderten auf einer Veranstaltung ausführlich, wie ihre Staaten es geschafft haben, in den 90er Jahren aus den Schwierigkeiten herauszukommen. In Mexiko beträgt die Verschuldung heute 42 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Argentinien 41 Prozent  und in Chile sogar nur 11 Prozent (alle könnten in dieser Hinsicht dem Euro beitreten).

Ein Ergebnis der Krise wird sein, dass die Schwellenlän¬der in der Welt noch mehr Gewicht gewinnen. Wirtschaftspolitisch liegt ihre Position näher an der der Europäer, als an der der Amerikaner. Aber sie sind unzufrieden, dass der Internationale Währungsfonds (der ja auch ihnen gehört) so viel Geld an die Europäer gibt. Da ziehen neue Wolken auf. Es könnte sein, dass der IWF künftig nicht mehr so viel Geld an Europa ausleihen kann.

Unter der Hand zirkulierten in Washington eine Reihe von Kompromissvorschlägen zur Bekämpfung der Krise (u. a. Ausweitung der Kreditkapazität des EFSF, Pleite Griechenlands, Euro-Bonds zur Rettung Italiens, Bankenrettung). Sie wurden offiziell zurückgewiesen. Es ist aber wahrscheinlich, dass hier doch noch etwas aus der Tasche gezogen wird.

Entscheidend für eine Besserung der Krise ist, dass es wieder Wachstum gibt. Die Ökonomen des Institute of International Finance rechnen damit, dass sich die Konjunktur im zweiten Halbjahr 2011 in den USA leicht und in Japan deutlich verbessern wird. Es gibt dafür freilich keine wirklich überzeugenden Gründe. Insofern muss man bei der Prognose vorsichtig sein. In Europa wird sich die gesamtwirtschaftliche Situation erst noch verschlechtern. Das größte Konjunkturrisiko ist eine Eskalation der Schulden- und/oder der Bankenkrise. Sie würde nicht nur Europa treffen, sondern auch die USA.

Der griechische Finanzminister Venizelos wies in Washington voll Stolz darauf hin, dass sein Land im ersten Halbjahr 2012 einen Überschuss in der Primärbilanz (Haushaltsdefizit abzüglich Zinszahlungen) erreichen wird. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist Venizelos kein Krisen-Manager. Ich schätze ihn nach seinem Auftreten beim IWF eher als Politiker ein, dessen Stärke es ist, Mehrheiten zu organisieren. Er neigt dazu, mit den Gläubigern zu pokern. Das macht die Lösung schwieriger. Ein überzeugendes Sanierungskonzept hat er nicht.

Griechenland ist inzwischen aber nicht mehr der Hauptkriegsschauplatz der Eurokrise. Italien ist viel gefährlicher. Es kann mit den bisherigen Instrumenten nicht gerettet werden. Portugal und vor allem Irland sind auf dem Weg der Besserung. Das „Erfolgsrezept“ dieser beiden Länder ist, dass es den dortigen Regierungen, anders als den Griechen, gelungen ist, einen politischen Konsens über die zu treffenden Konsolidierungsmaßnahmen herzustellen.

Die Amerikaner haben es auf der Konferenz geschafft, ihre eigenen Schuldenprobleme, die insgesamt noch größer sind als die Europas, weitgehend aus der Diskussion herauszuhalten. Die Banker sind aber sehr besorgt über die prekäre Lage in einzelnen Bundesstaaten und bei den lokalen Gebietskörperschaften (Municipalities).

Die Bankenkrise trifft vor allem Institute ohne eigene Einlagenbasis. Sie leiden insbesondere auch darunter, dass amerikanische Geldmarktfonds Gelder aus Europa in die USA zurückholen. Das trifft nicht nur Institute in Spanien und Italien. 40 Prozent der Gelder, die in Deutschland platziert waren, sind in den letzten drei Monaten abgezogen worden.

Ein wenig beachteter Schwachpunkt der Weltwirtschaft: In den letzten Wochen sind die Währungen zahlreicher Schwellenländer unter Druck gekommen. Das betrifft alle Kontinente: In Lateinamerika unter anderem Brasilien und Mexiko; in europäischen Ländern wie Polen und die Türkei; in asiatischen Ländern wie Indien, Korea, Indonesien und Thailand. Das hat nichts mit den fundamentalen Bedingungen zu tun. Es hängt mit dem gestiegenen Risikobewusstsein zusammen. Die Abwertungen verbessern zwar die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten, andererseits erhöhen sie jedoch die Inflationsgefahren. Investoren in Emerging Market Bonds verlieren Geld. Die Entwicklung kann leicht außer Kontrolle geraten und zu Panikreaktionen führen. Währungskrieg als nächste Krise?

Für den Anleger

Eine Entspannung ist vorerst nicht zu erwarten. Es muss erst noch schlechter werden, bevor es besser wird. Anleger müssen sich auf Überraschungsmaßnahmen an Wochenenden einstellen. Bei Restrukturierungen kann es bei den Anlegern, die nicht Banken sind, zu Verlusten kommen (und bisher vom Private Sector Involvement ausgeschlossen waren).

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 29. September 2011/Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.