Hüfners Wochenkommentar: "Jetzt die Inflation?"

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Hüfner

19. September 2012. FRANKFURT (Börse Frankfurt).Ich war wohl nicht der Einzige, der durch die Aussage des Co-Chefs der Deutschen Bank, Anshu Jain, er­schreckt war. In einem Interview mit der „Welt am Sonn­tag“ hatte er am letzten Wochenende zu den Folgen der neuen geldpolitischen Beschlüsse der Europäischen Zen­tralbank mit unmissverständlicher Klarheit gesagt: „Die Konsequenz wird schlussendlich Inflation sein… Das ist ein Preis, den wir für Europa zahlen müssen.“ Da lief mir das Wasser kalt den Rücken herunter. Ich bin ein Befürworter von Europa und vom Euro. Aber einen sol­chen Preis möchte ich nicht zahlen.

Hat der Chef der Deutschen Bank Recht und wird es als Folge der neuen Maßnahmen der EZB (auch der Feder­al Reserve) mehr, vielleicht sogar die große Inflation ge­ben? Das ist im Augenblick für die Mehrzahl der Anleger die wichtigste Frage. Leider haben auch die Experten da­rauf keine zwingende Antwort. In der Theorie gibt es Argumente sowohl in die eine Richtung als auch in die andere.

Deshalb habe ich mir einmal die Geschichte ange­schaut. Für die letzten hundert Jahre gibt es dazu inte­res­sante Zahlen aus den USA (siehe Grafik), aus denen man ein paar Lehren ziehen kann.

Erstens: Eine so lange anhaltende Phase niedriger Infla­tion, wie wir sie in den zurückliegenden dreißig Jahren hatten, ist selten. Es gab sie auch nicht in der viel gepriesenen Gold­währung vor dem Zweiten Weltkrieg; damals stie­gen die Preise zeitweilig sehr stark, fielen dann aber auch wieder. Es ist freilich schwierig, das richtig zu interpre­tieren. Heißt das, dass die Inflation tot ist und die Gefahren überschätzt werden oder heißt es, dass die Zeit niedriger Inflation so lange gedauert hat, dass sie bald wieder vorbei sein könnte? In jedem Fall erscheint mir eine Wiedereinführung der Goldwährung nicht wünschenswert. Damals waren die Verhältnisse nicht besser.

Zweitens: Liquidität und Staatsverschuldung waren in der Vergangenheit wichtige Treiber der Inflation. Sie ha­ben sowohl die Hyperinflation von 1923 in der Weimarer Republik verursacht, als auch die verdeckte Inflation im Dritten Reich. Die Grafik zeigt, dass die Ausweitung der Liquidi­tät in den USA in den 30er Jahren in etwa so groß war, wie sie es heute ist. Wir befinden uns also in einem ge­fähr­lichen Terrain.

Geldmenge und Inflation in den USA
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in Prozent ggü. Vorjahr, St. Louis Monetary Base und Verbraucherpreissteigerung, Quelle: Fred Data

Drittens: Liquidität und Staatsverschuldung sind aber nur eine notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung für Geldentwertung. Damit sie zu Preissteigerungen führen, muss eine hohe gesamtwirtschaftliche Nachfrage, also eine gute Konjunktur, dazukommen. Das war nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland der Fall. Auch nach der Weltwirtschaftskrise 1933 lief die deutsche Konjunktur schnell wieder heiß und zwang die Regierung, Preis- und Lohnkontrollen einzuführen. In den USA dagegen gab es kein stärkeres Wachstum. Die Inflation hielt sich daher in Grenzen, von ein paar kurzfristigen Ausreißern abgesehen.

Viertens: Der Anstieg der Inflation in den 70er Jahren be­ruhte nicht auf Liquidität und Staatsverschuldung, sondern auf politischen Spannungen und dadurch be­dingten Rohstoffpreissteigerungen. Im Oktober 1973 begann der Yom-Kippur-Krieg, dann kamen die großen Ölpreiskrisen. Die Parallelen zu heute sind offensicht­lich. Es gibt erhebliche Spannungen in vielen Regionen der Welt. Das kann die Geldentwertung deutlich über das jetzige Niveau treiben.

Fünftens: Viele zweifeln, ob die Zentralbanken politisch in der Lage wären, wirklich gegen Inflationserwartungen vorzugehen. Das Brechen von Inflationserwartungen er­fordert in der Tat Mut zu unpopulären Maßnahmen. Die Geschichte zeigt, dass es das tatsächlich gibt. Man muss hier nicht nur auf die Deutsche Bundesbank schau­en. In den USA gab es den Notenbankpräsidenten Paul Volcker, der Ende der 70er Jahre eine ungewöhn­lich restriktive Politik durchsetzte und damit die Infla­tions­erwartungen brach. Er hob die kurzfristigen Zinsen trotz schwacher Konjunktur bis auf zweistellige Höhe an. Man kann also Liquidität einsammeln, wenn man nur will und die damit verbundenen Schmerzen in Kauf nimmt.

Sechstens: Man sagt immer, die Staatsverschuldung kön­ne nur durch Inflation abgebaut werden. In der Tat gibt es dafür viele historische Beispiele. Es ist aber nicht zwangsläufig. In den USA ist es gelungen, den Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt von 1945 bis 1995 von fast 120 Prozent auf unter 40 Prozent zu redu­zie­ren, ohne dass es zu einer großen Inflation kam. Entscheidend war, dass die Zinsen, zu denen der Staat Geld aufnahm, nicht höher als die Geldentwertung wa­ren. Das ist die sogenannte „Repression Economics“, an die auch heute wieder gedacht wird. Für den Anleger bedeutet das freilich auch einen Kapitalverlust.

Für den Anleger

Kurzfristig erleben wird derzeit wegen höherer Öl- und Nahrungsmittelpreise eine leichte Beschleunigung der Geldentwertung. Sie ist ärgerlich, insgesamt aber noch erträglich. Mittelfristig wird es durch die jüngsten Maß­nah­men der EZB (und auch der Federal Reserve) ge­fähr­licher. Dies auch wegen der weltweiten politischen Spannungen, die die Rohstoffmärkte anheizen können. Als zündender Funke für eine größere Inflation fehlt nur noch eine gute Konjunktur. Sie ist bisher nicht erkenn­bar, wird sich aber irgendwann einstellen. Spätestens dann muss die Geldpolitik umschalten.

Langfristig gibt es vor allem in den USA Tendenzen, das Stabilitätsziel wegen der „Repression Economics“ nicht mehr so eng zu definieren. Der Internationale Währungsfonds plädiert eher für 4 Prozent bis 6 Prozent Preissteigerung pro Jahr als für 2 Prozent. Die EZB kann sich solchen Tendenzen sicher nicht ganz entziehen. Bleiben Sie bei langfristigen Anlagen also auf der Hut.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

©19. September 2012 /Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“